16.11.2007

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Die Deutsche Reichsbahn war Lenin Vorbild; das deutsche Volk eher nicht. Heutzutage dürfte es ihm ähnlich gehen. 

Alles halb so schlimm

Das ist in fetten Lettern die Überschrift des heutigen Aufmachers der WAZ Duisburg. Berichtet wird, dass der Lokführerstreik zwar zu Behinderungen für die Bahnkunden geführt habe, aber das erwartete Chaos ausgeblieben sei. In Duisburg. Abends in den Tagesthemen berichtete dann Tom Burow das gleiche in Bezug auf ganz Deutschland.

lenny

Burow merkte an, dass die einzigen, die von Chaos sprächen, die Bahn und die GDL seien. Nun gut, ein paar äußerst unzufriedene Bahnkunden wird es wohl gegeben haben. Und gewiss richtet jeder Arbeitskampf Schaden an. Aber die von den beiden Tarifparteien vorhergesagte Leichenstarre Deutschlands oder gar der Zusammenbruch der Volkswirtschaft blieben tatsächlich aus. Ein bisschen tote Hose war ausschließlich in dem Landstrich, in dem sich früher Regierende – ob zu Recht oder Unrecht – auf Lenin beriefen. Da dort inzwischen nicht mal jeder Fünfte seinen Wohnsitz hat, und ich nicht nachsehen möchte, wie viel Prozent des BIP dort erwirtschaftet werden, bleibt nur festzuhalten: ökonomisch betrachtet uninteressant.
Zur Sache selbst kann ich nicht viel beisteuern, bis auf diese beiden Banalitäten: erstens sollten die Lokführer deutlich mehr verdienen, und zweitens wird auf Dauer eine Zersplitterung der Gewerkschaften nicht im Interesse der arbeitenden Menschen sein, nicht einmal der Lokführer.
Diesen beiden Selbstverständlichkeiten stimmen nicht nur die meisten Deutschen zu; sie dürften auch Lenins Segen haben.

Wladimir Iljitsch Uljanow hatte ein ganz besonderes Verhältnis zur deutschen Eisenbahn. Die Deutsche Reichsbahn war nämlich so freundlich gewesen und hatte ihn aus seinem Exil zurück transportiert zum Zwecke der Durchführung einer bolschewistischen Revolution. Das Kaiserreich war der Auffassung, dass das Zarenreich, mit dem man sich gerade im Krieg befunden hatte, durch die Kommunisten ganz schön aufgemischt würde. Damit hatte man zwar Recht behalten (Oktoberrevolution, September 1917). Da man aber noch mit einigen anderen Ländern im Clinch lag (daher der spätere Name: Erster Weltkrieg), hat das dann auch nicht mehr gebracht.
Der Wladimir Iljitsch war jedenfalls so dankbar, glaube ich ... jedenfalls ... gelangte er zu der Ansicht, eine sozialistische Gesellschaft müsse so organisiert werden wie die Deutsche Reichsbahn. Lenin hatte freilich hierzu noch mehrere Gedanken, aber allein schon dieser ... Das konnte ja nichts werden. Und wenn der Gorbatschow den ganzen Laden nicht privatisiert hätte, dann hätte es halt ein Mehdornow oder ein Tiefensew gemacht.
Dass dieser Laden in dem oben erwähnten deutschen Landstrich bis zu seiner wahnsinnigen Befreiung „Deutsche Reichsbahn“ hieß, war übrigens weniger der Liebe zu Lenin zu verdanken, sondern dem nicht minder chronischen Geldmangel. Jetzt heißt sie auch dort Deutsche Bahn und leidet immer noch unter Geldmangel. Dafür sind die Brüder und Schwestern jetzt frei, die, die Arbeit haben, sogar ohne Geldmangel und ... mit Streikrecht. Wahnsinn!

 

Werner Jurga, 16.11.2007

 

P.S.: über die Deutschen spottete Lenin, wenn sie in einer Revolution den Bahnhof stürmen wollten, würden sie erst einmal eine Bahnsteigkarte kaufen. Ja, bei uns Deutschen, da fluppt es halt! Sogar bei Streik und so: alles halb so schlimm!

 

[Jurga] [Home] [März 2010] [Marxloh stellt sich quer] [Februar 2010] [Januar 2010] [2009] [2008] [2007] [Oldies] [2007 / 2008] [Tagebuch 2007] [Texte Dez. 2007] [Texte Nov. 2007] [Texte Okt. 2007] [Texte Sept. 2007] [Texte Aug. 2007] [Kontakt]