35 Jahre unter Linken

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Gestern war mir nun wirklich nicht danach, irgendetwas zu schreiben. Ich habe nämlich die Grippe oder so etwas, hoffentlich ist es nicht die Schweinegrippe.

Außerdem hatte ich vorgestern so einen langen Text geschrieben. Einen Gastbeitrag für die Ruhrbarone; klar, dass ich mir da ein wenig Mühe gegeben habe. Und anständig benehmen wollte ich mich natürlich auch. So sprach ich ständig von (und zu) den Linken und Liberalen, den aufgeklärten Deutschen, den weltoffenen Demokraten usw. usf. Denn ich wollte ja so fiese Wörter wie Gutmenschen oder Ökopaxe meiden. Aber so kompliziert hätte ich es dennoch nicht machen müssen; trotz aller umständlichen Beschreibung war doch völlig klar, wen ich gemeint hatte: die Linken.
So nennt man nun einmal Unsereins in Deutschland. So weit ich das übersehe, hat auch der Umstand, dass die neue Partei sich exakt diesen Namen gegeben hatte, nicht allzu viel daran ändern können. Wenn ich also im folgenden von der oder den Linken schreibe, meine ich also nicht exklusiv die (Mitglieder der neuen) Partei, sondern irgendwie so alle Linken und Liberalen, aufgeklärten Deutschen, weltoffenen Demokraten usw. usf.
Alle, die so sind wie wir, und die wir, einem alten deutschen Schlager folgend, gern einladen – wobei es sich in unseren Kreisen, wie ich finde: aus guten Gründen, nicht schickt, sich derartiges weder aufgeklärtes, noch weltoffenes Liedgut zu Gemüte zu führen. 

Was bringt das denn alles?

Nein, mir war gestern nicht nach Schreiben. Und wozu auch? Bringt das überhaupt irgendetwas?
35 Jahre mache ich das jetzt schon. Schreiben und Reden, Reden und Schreiben. Und was hat es gebracht? 35 Jahre leben als Polit-Freak. Logisch: immer auf Seiten der Linken. Ich kann Ihnen sagen: so eine Grippe macht einen ganz schön mürbe.
Der Erfolg politischer Arbeit ist ja auch so schwer messbar, eigentlich gar nicht. In Bezug auf einzelne Aktionen oder Kampagnen lässt sich ex post feststellen, ob sie in die Hose gingen oder von Erfolg gekrönt waren. Nicht wahr, Herr Dierkes. Aber so insgesamt? Schwer zu evaluieren. Auch Evaluationsforschung wird da wohl kaum helfen können.
Mir selbst haben die letzten 35 Jahre Politik Machen nichts gebracht, jedenfalls nichts, was sich in Mark und Pfennig abrechnen ließe. Alles für Umme, kein Euro, kein Cent. Mist irgendwie. Stadtrat, am besten noch Fraktionsvorsitzender; das wäre schon mal was! Aber so.

Halt! Vor 30 Jahren im AStA, da hatte ich ein paar Mark bekommen. Und da ließ sich auch munter Politik machen. Ein Full Time Job. Doch es war auch mit den charmanten Vertretern der Firmen zu verhandeln, bei denen die Kopiergeräte geleast waren. Und man landete vor dem Kadi, weil die Asta-Jobvermittlung nach Ansicht des Arbeitsamtes gegen deren Monopol auf Stellenvermittlung verstoßen hatte. Oder weil den Nachbarn die Musik auf der AStA-Fete zu laut war. Mit Studieren war also während dieser Zeit nichts. Dafür bekam ich dann ein „Gehalt“ in Höhe des BAföG-Satzes. Nee, gelohnt hat sich das nicht. Lohnen tut es sich nicht.
Jedenfalls nicht finanziell. Aufmerksamkeit? – Okay, wenn man es darauf abgesehen hat: dafür ist politisches Reden und Schreiben schon ganz gut. Anerkennung? – Als es irgendwann zwischenzeitlich mal hieß, ich sei ein Politiker, wusste ich Bescheid. Aber man macht das ja alles nicht für Ruhm und Geld. Für Glück? – Ich bitte Sie: Hören Sie auf! Man macht es, wie es so heißt, für die Sache. Für die gute Sache, nehme ich an. Vielleicht auch für die Menschen. Für mich persönlich darf ich noch als Motiv hinzufügen, dass ich sonst nichts gelernt habe. Nichts außer Politik. Reden und Schreiben.

So lag ich gestern krank im Bett, hielt mir die Dürftigkeit meines Seins vor Augen und fragte mich (wieder mal): was bringt das denn alles? Und etwas weniger grundsätzlich, mehr so handlungsorientiert: was machst Du jetzt?
Und was könnte man sonst noch so machen, wenn man nicht schreiben und schon gar nicht reden möchte? – Klar: lesen. Es war Montag, und ich schnappte mir den neuen Spiegel. Ich las, dass der Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer nächste Woche bei Rowohlt ein Buch veröffentlichen wird. Titel:

Unter Linken

Er erzählt darin über sich selbst, nämlich – so der Untertitel – von einem, der aus Versehen konservativ wurde. Ein Auszug aus dem Vorwort ist in der aktuellen Print-Ausgabe des Spiegel abgedruckt. Wie Fleischhauer schreibt, ist amüsant, und was er schreibt, umso mehr.
Dass er sich – wohl schon vor einiger Zeit – von uns verabschiedet hat und konservativ wurde, ist ihm dabei gar nicht zu verübeln. Fleischhauer hatte nämlich eine schwere Kindheit. Genau wie ich, hatte auch er 35 Jahre unter Linken zugebracht. Da enden dann allerdings auch schon die Gemeinsamkeiten.
Ich nämlich komme aus einfachen Verhältnissen, wie man so sagt. Unser Haus „war CDU“, wie man so sagte; folglich musste ich meine Kindheit nicht unter Linken verbringen.
Auch ich wurde ohne Nesquik (bei uns gab´s Kaba) und ohne McDonalds (gab´s zu meiner Zeit noch nicht) groß. Dafür hatte ich jedoch Cola und Apfelsinen. Die gab´s bei Fleischhauers zwar auch, aber nur ganz ganz selten. Nein, Jan Fleischhauer ist nicht in der DDR aufgewachsen, sondern in Hamburg, und zwar in der linken Schickeria. Kein Wunder, dass irgendwann einmal der Tag der Abrechnung kommen musste. Doch es dauerte. 

Fleischhauer schreibt:
Ich verhielt mich wie ein vierzigjähriger Familienvater, der plötzlich entdeckt, dass er schwul ist, und nicht weiß, was er tun soll … Das Schwierigste für jeden späten Konservativen ist immer das Coming-out. Es ist ein Moment, den man hinauszögert, solange es geht.
Nun hat er es ja geschafft. Glückwunsch! Fleischhauer hat Mut bewiesen, und er hat mit seiner mutigen Lebensgeschichte auch anderen Mut gemacht. Mir zum Beispiel. Schreibt er doch:
Die Linke hat gesiegt, auf ganzer Linie, sie ist zum juste milieu geworden … Linke haben ihre Meinung weitgehend durchgesetzt … in den tonangebenden Kreisen.

Na bitte, geht doch! Ja, es geht! Es war und ist nicht alles umsonst. Es geht. Die Antwort des nordrhein-westfälischen Gossenkindes auf den hanseatischen Nobelschnösel: 35 Jahre unter Linken. Es ist furchtbar. Aber es geht.

Werner Jurga, 05.05.2009

 

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