Der Abschwung kommt an

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Der Aufschwung kommt nicht an

Der Aufschwung kommt nicht an – nicht bei den Menschen, und schon gar nicht: unten!

Erzählt man sich jetzt so, kein Witz: der Aufschwung kommt unten nicht an. – Ja, wie auch? Ein Aufschwung, der unten ankommt? Stellen Sie sich vor: Sie sind am Reck, machen einen Aufschwung (heißt wohl: Felgaufschwung), und dann kommen Sie unten an. War dann ja wohl nix!
Wir kennen das von Kindern: je beknackter die Formulierung, desto prekärer die Defensiv-Position. Mit dem „Aufschwung, der unten nicht ankommt“, war man endgültig ganz am Rand angekommen, mit dem Rücken zur Wand, trotzig mit dem Fuß auf den Boden stampfend, starrsinnig an der Story festhaltend: nur nicht das Gesicht verlieren. Ja klar: wenn man von Hartz IV leben muss, alles teurer wird (das ist nun mal so im Aufschwung), dann kommt unten nicht nur nichts an, dann fehlt sogar richtig was. Sagen wir mal: so um die sieben Prozent, die Preissteigerungsrate für Nahrungsmittel. Den ALG-2-Beziehern, die sich einen LCD-Flachbildschirm mit Dolby-Surround zulegen, geht’s da natürlich ungleich besser; denn Unterhaltungselektronik wird eher etwas billiger.
Bedauerlicherweise leben auch im bösen neoliberalen Kapitalismus pur nicht alle Menschen von Hartz IV, so dass sich die Formulierung „der Aufschwung kommt bei den Menschen nicht an“ einfach nicht mehr halten ließ. Letzte Station, siehe oben: Aufschwung nicht unten. Es wäre böswillig zu unterstellen, dass der Austausch von „den Menschen“ durch „unten“ glauben machen solle, die da unten seien keine Menschen. Nein, ich will keine Böswilligkeit unterstellen; das ist einfach Gedankenlosigkeit. Mit dem Rücken zur Wand kann man einfach nicht an alles denken.

Aufschwung – ja gibt´s denn so was ?

Dazu muss man wissen, dass auch die Formel von dem „Aufschwung bei den Menschen nicht ankommt“ schon klar den Charakter eines Zugeständnisses hatte. Musste man doch einräumen, dass es das wirklich gibt: „Aufschwung“. Das tat weh. Durfte man nämlich gar nicht sagen: „Aufschwung“. Das ist nämlich eigentlich so ein Wort, das nur die da oben benutzen. Oder die Armen im Geiste, die immer den Kohl gewählt hatten. Waren zwar die meisten, wollte aber niemand gewesen sein. Da hat sich der Schröder gedacht, 1998, noch bevor er zum Kanzler gewählt wurde: dann mache ich das jetzt auch mal. Und sprach: „Das ist mein Aufschwung!“ – War mal wieder nix. Nee, das Wort „Aufschwung“ ... ein Unwort, mindestens schon mal schlechter Stil, wahrscheinlich sogar neoliberal. Durfte man nicht sagen. Anfang letzten Jahres (noch) nicht, 1998 nicht, während der Kohl-Ära nicht, und „unterm Schmidt“ auch nicht. „Unterm Schmidt“ ging es uns zwar gut wie nie (wir hatten etwa die Hälfte des heutigen Lebensstandards), aber „Aufschwung“ – nee, so gut nun auch wieder nicht. Das Wort „Aufschwung“ war einfach, jedenfalls für Leute, die ein bisschen was auf sich hielten, soziale Sensibilität und so, verboten, total verboten: ein Unwort. Mindestens mal seit vier Jahrzehnten. Davor weiß ich nicht mehr so genau, war ich noch zu klein, habe ich auch nicht so ganz genau verstanden, das geschwollene Zeug, das der Prof. Schiller von der SPD immer so redete.
Jedenfalls war klar: der Kapitalismus wurde immer kapitalistischer, die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich immer weiter, schon wegen der ständigen Umverteilung von unten nach oben. Komisch, dass wir überhaupt noch was zu fressen haben.

Aufschwung gibt es; sonst gäbe es ja keinen Abschwung

Und dann so was. Löhne und Gehälter steigen. Sogar der Öffentliche Dienst kriegt einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Gestern die Arbeitsmarktdaten: die Arbeitslosigkeit auf einem Tiefststand. So um die 3,5 Millionen. Alles Manipulation? – Von wegen! Die Schröder-Regierung hat mit Hartz-IV-Gesetz die Arbeitslosigkeit auf über 5 Millionen nach oben „manipuliert“. Und, wir sprachen anfangs drüber, das gilt ja immer noch. Glauben Sie mir: jetzt sind es wirklich 1,5 Millionen Arbeitslose weniger, allein in 12 Monaten immer so sechs bis sieben Hunderttausend. Alle in Mini-Jobs? – Okay: viele. Die meisten aber nicht. Die meisten haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden. Überhaupt: noch nie waren in Deutschland so viele Menschen erwerbstätig wie heute.
Nein, kein Trick: neue Länder und so. Da klappt es ja (noch? hi hi) nicht so richtig. Nehmen Sie die Zahlen für den Westen, die Alt-BRD: 2,27 Millionen Arbeitslose, Arbeitslosenquote: 6,8 %. Zur Erinnerung: Mitte der 1980er Jahre waren es über drei Millionen, die Quote lag über 10 %. Und die drei Millionen damals, das war eine ganz andere Sorte als viele von denen, die heute zu den 2,27 Millionen gehören. Das ist keine Gemeinheit von mir, das ist so!

Der Abschwung kommt an

Nun ist - wäre eine kleine Fachsimpelei, deshalb: einfach mal glauben – der Arbeitsmarkt ein sog. „Spätindikator“. Auf deutsch: wenn der Aufschwung (bei den Menschen, auch unten und so) auf dem Arbeitsmarkt angekommen ist, da können Sie den Wecker nach stellen: dann war´s das auch schon. Dann kommt der Abschwung. Und der kommt an, ganz sicher, ganz bestimmt auch unten – keine Sorge: auch in der Mitte, selbst in der Neuen Mitte, und vor allem: der kommt jetzt ganz schnell an.
Im Januar war es absehbar, die Regierung machte noch auf Schön Wetter, ich hielt dagegen, wenn auch noch vorsichtig. Jetzt ist die Sache klar: auch regierungsamtlich, auch seitens der „Experten“: es ist aus!
Nehmen Sie die Meldungen von gestern, z.B. die Finanzkrise. Die Milliarden, die der UBS und der Deutschen Bank fehlen. Die USA sind in einer Rezession. Es wird noch gerätselt, wie heftig die wohl ausfallen wird. Glauben Sie mir: sehr heftig! Der Bush und seine Zentralbank machen eine Finanz- und Geldpolitik – da kann Lafontaine nur begeistert sein. Dumm nur: zu spät, nützt nichts mehr. Kann man nichts mehr machen. Nicht, dass der Bush zu spät angefangen hätte – überhaupt nicht.
Nur, es ist halt so: „der Kapitalismus hat auch Schattenseiten“ (Friedrich Engels). Denn wo es Aufschwung gibt, da gibt es auch Abschwung. Tja, und dann noch die Globalisierung – heißt: weltweit. Ich wiederhole mich: ich halte nichts von dem Gerede, dass alles immer schlimmer wird. Nichts von dem ganzen linken Geknatsche, Tonart je nach politischer Richtung, dass der Kapitalismus keine Zukunft habe. Hat er, keine Sorge, haben letztlich auch alle was davon. Okay. Die einen mehr, die anderen weniger. Nur, jetzt heißt es erst mal: Der Abschwung kommt an -

ganz sicher, ganz schnell und ganz bestimmt auch unten

Werner Jurga, 02.04.2008

 

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