Deutsche Leitkultur

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Die WAZ Duisburg, 1. Mai 2008, ein Bericht über

 „Probleme in Bruckhausen“

"Gestern Nacht", schildert der 40-jährige Ali (der seinen Nachnamen lieber nicht nennen will), "habe ich um halb eins ein Kind fast ohne Kleidung auf der Straße gesehen. Es hatte Durchfall." Seine Notdurft habe es am Straßenrand verrichtet. "Das ist eine Katastrophe. Es wird immer schlimmer in Deutschland", sagt Ali kopfschüttelnd.

Nun besteht die Katastrophe nicht allein in der beschissenen Situation eines einzigen Kindes. Da hätte Ali durchaus seinen Familiennamen genannt. Die Probleme in Bruckhausen resultieren daraus, dass sich schlagartig mehr als 200 Menschen in diesem - überwiegend von Türken bewohnten – Stadtteil angesiedelt haben. Und die, ja:

"Die sind gleich total aggressiv", sagt Alis Kollege Mustafa (44). "Alle, die hier in Bruckhausen wohnen, haben Angst", schildern die Besucher der Teestube die Situation.

Es gibt keinerlei Anlass, an der Darstellung von Ali, Mustafa und ihren Kumpels zu zweifeln. Schon einen Tag zuvor, am 30. April 2004, konnten wir aus der WAZ erfahren:

 „Die Polizei ist beunruhigt über Südosteuropäer“

Seit diese Gruppe „Neubürger” aus Südosteuropa in der Stadt ist, haben Straftaten zugenommen, beschweren sich Bürger, aber zum Beispiel auch Mitarbeiter der Wirtschaftsbetriebe über Müll und „aggressives Auftreten” der Menschen aus verschiedenen Ländern Südost-Europas.

Wir konnten allerdings nicht, jedenfalls nicht direkt erfahren, wer nun diese „Neubürger“, natürlich in Anführzeichen, eigentlich sind. Aber man konnte sich zusammenreimen, dass von Zigeunern die Rede ist.
„Zigeuner“ – darf man das sagen, ist das politisch korrekt ? – Nein, denn deren größtes Volk mag das Wort nicht. Die anderen Völker zwar schon; aber es ist schon richtig: meidet man das Wort, ist man auf der sicheren Seite. Dass ich drei Sätze zuvor von Zigeunern geschrieben habe, war insofern wieder richtig, als dass ich ja nicht wissen konnte, ob es sich um Roma oder Sinti oder Angehörige eines anderen Volkes handelt.
Ob die Polizei da Genaueres weiß? Am 1. Mai zitiert die WAZ sie mit „Sinti und Roma“; die WAZ selbst bleibt da – zu Recht – lieber vorsichtig. Diesmal spricht sie von „Nachbarn“, natürlich in Anführzeichen.
In Anführzeichen gesetzte „Neubürger“ oder „Nachbarn“, vielleicht politisch korrekt, aber denunziatorisch bis zum Abwinken. Aber das haben sich die Zigeuner selbst zuzuschreiben, nicht die Zigeuner, sondern diejenigen, welche sich zur Zeit in Bruckhausen nach Strich und Faden daneben benehmen. Und zigeunerfeindliche Vorurteile schüren nicht die WAZ, nicht die Bruckhausener Bürger, nicht ich, sondern diejenigen, welche nun wirklich dem Muster des primitivsten Rassismus punktgenau gerecht werden wollen.

„Es wird immer schlimmer in Deutschland", sagt Ali aus der Bruckhausener Teestube. „Es wird immer schlimmer in Deutschland", dürfte auch der ein oder andere alteingesessene Bruckhausener gesagt haben, als sich – allerdings über Jahre und Jahrzehnte – mehr und mehr Türken in dem Stadtteil angesiedelt haben. Nicht, um zu „besetzen“, sondern einfach deshalb, weil hier der Arbeitsplatz am nächsten, und später, weil hier die Mieten am billigsten waren. Seien wir ehrlich: einige Deutsche haben „die“ Türken schlecht behandelt. Daraufhin haben sich einige Türken abgeschottet.
In Deutschland führt so etwas schon einmal zu etwas Hysterie, dabei handelt es sich um normale Probleme einer normalen Einwanderungsgesellschaft. Dass jetzt europaweit eine, keine Ahnung welche, Gruppe von Zigeunern alle Leute zusammen trommelt, diesen Stadtteil zu „besetzen“, ist dagegen eine kleine Randnotiz. Von außen betrachtet; für die Bruckhausener Bürger dagegen ist es, wie Ali verständlicherweise sagt, „eine Katastrophe“.

Dabei verlangen die Bruckhausener nichts Unmögliches; sie verlangen von den Zigeunern nicht aufzuhören, Zigeuner zu sein. Genauso wenig wie Ali, Mustafa und seine Kumpels aufgehört haben, Türken zu sein. Sie verlangen von den Zigeunern keine Unterwerfung unter eine – wie auch immer geartete – deutsche Leitkultur. Oder türkische Leitkultur. Sie verlangen kein Bekenntnis zu Dies oder Jenem, weder zu einer Religion noch zu einem Vaterland noch zu Sonstwas. Sie erwarten nur, was sie erwarten dürfen, nämlich dass sie als Menschen respektiert werden. Sie erwarten, dass die Gesetze respektiert werden.

Werner Jurga, 02.05.2008
 

P.S.: Und nicht weniger, vor allem aber: nicht mehr dürfen die Deutschen von den Türken erwarten. Da läuft in der „Integrationsdebatte” einiges daneben, worauf Malte Lehming am 14.03.2008 im „Tagesspiegel“ aufmerksam gemacht hat. Hier ein Auszug:

Im Visier der Gesinnungsschnüffler stehen besonders die Türken. Viele von ihnen haben ein etwas reicheres Gefühlsleben als der Durchschnittsdeutsche: Sie fühlen nämlich Sowohl-als auch, sowohl deutsch als auch türkisch. Bei Einwanderern ist das normal. In den USA gibt es welche in dritter und vierter Generation, die sich immer noch regelmäßig zum Schuhplattlern in Trachtenkleidern verabreden. Niemand nimmt Anstoß daran. Türken indes, die in Deutschland leben, aber Immanuel Kant nicht zitieren können, werden als nicht integrierbar eingestuft. Manchmal bezichtigt man sie auch der doppelten Loyalität und stellt sie vor die ultimative Entscheidung: entweder Hannover oder Istanbul. Sowohl-als auch? Das geht bei uns nicht.
Was sich vordergründig gegen die Türken richtet, hat - wie so oft in Deutschland - mit der Geschichte zu tun, und es zielt, wenngleich noch uneingestanden, gewissermaßen indirekt, auch gegen die hier lebenden Juden. Die Türken sind den meisten Deutschen ja relativ egal, aber dass sich deutsche Juden immerfort zu Israel äußern müssen, das ärgert sie schon lange. Von wegen doppelte Loyalität! Jeder Jude in Deutschland hat es schon mal erlebt, sich vor Deutschen für Israel rechtfertigen zu müssen oder, im Gegenteil, sich den Vorwurf anhören zu müssen, als deutscher Jude besondere Israel-Sympathie zu hegen. Ignatz Bubis hat viel über dieses Paradoxon gesprochen. Lösen lässt es sich nicht.
Und so könnte die ganze aufgeregte Integrationsdebatte durchaus der Auftakt für Ärgeres sein.

 

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