Die offene Wunde

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Klappentext:

Der Antisemitismus ist das älteste, hartnäckigste und fürchterlichste Vorurteil in der Geschichte der Menschheit. Zunächst beschreibt Manfred Lahnstein die verschiedenen religiösen und politischen Wurzeln des Antisemitismus, wobei der besondere deutsche Weg bis hin zum Holocaust im Mittelpunkt steht. Aber auch heutige Erscheinungsformen und die wichtigsten Theorien zu diesem Thema werden vorgestellt. Natürlich ist ein solches Phänomen ohne die Einblendung jüdischer Sichtweisen nicht verständlich. Ist der Antisemitismus zu überwinden? Ja, aber der Kampf gegen ihn ist ein Kampf mit uns selbst!

Rezension von F. Riedel

vom Autor der Rezension eingestellt, vollständiger Originaltext hier

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Den marktgerecht für Halbgebildete entworfenen Einführungen zum Antisemitismus droht das Scheitern an der Dichte des Themas oder an der Naivität des Autors. Nachdem mit Peter Waldbauers "Lexikon der antisemitischen Klischees" ein Tiefpunkt erreicht war, erwartete ich von einer Einführung für schlappe 8,95 ein ähnliches Niveau. Manfred Lahnsteins "Die offene Wunde - Antisemitismus als Schicksal?" enttäuschte diese Erwartung positiv. Der ehemalige Chef des Bundeskanzleramtes und Finanzminister pflegt ein an Broder und Adorno anknüpfendes Wissen über den Antisemitismus: Er richtet sich nicht an prospektive Neonazis, sondern benennt deutsche Mehrheiten und skandalisiert ohne anästhesistische Rücksicht auf Stirnrunzeln bei der vorgefärbten Leserschaft. Erfreulich ist, dass Lahnstein eine Position in schwierigen Fragen bezieht, die meinen Bedenken an gewissen simplifizierenden Diskursen in der Antisemitismusforschung gleichsieht:

1. Er trennt nicht in Antijudaismus und Antisemitismus. Das begründet er mit Zitaten, die spätestens ab 300 den Vernichtungswunsch als Triebkraft hinter den scheinhaften Bekehrungsaufforderungen hervorhebt.
2. Er widerspricht der Lehre vom Zeitgeist mit dem Hinweis auf philosemitische Herrscher inmitten finsterstem Antisemitismus der katholischen Kirche.

3. Er bezieht die Psychoanalyse in die Erklärung der Psychologie des Antisemitismus zwar fragmentarisch, aber positiv ein.

4. Islamismus und Antizionismus werden nicht ausgespart, sondern ausgiebig und konsequent bearbeitet.

5. Er führt durch ein historisches Sittenportrait die sukzessive Ausgestaltung des antisemitischen Klischees auf ihren jeweiligen ökonomisch-kulturellen Grund zurück.
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Insgesamt ist Lahnsteins Einführungsband eine der günstigsten Einführungen in den Antisemitismus mit einem guten historischen Überblick, der einige in anderen Werken vernachlässigte Episoden insbesondere des christlichen Antisemitismus zugänglich macht und dort bisweilen auch gegen einige verbreitete Irrtümer in der Antisemitismusforschung Stellung bezieht. Damit wird er dem Anspruch einer allgemein verständlichen und inhaltlich anspruchsvollen Einführung mehr als gerecht.
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In jedem Fall ist es gut zu wissen, dass auch eine Person mit einer solchen konsequenten Kritik am Antisemitismus einen gewissen Einfluss auf die Politik der BRD hatte. So sehr Lahnstein eine Absage an die antisemitische Mehrheitsgesellschaft leistet, die jeder Parteipolitik widersprechen muss, so konsequent skandalisiert er das Appeasement gegenüber Neonazis, islamophilem Kulturalismus und der iranischen Bombe.

 

F. Riedel 

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