Die Papstrede in Jad Vaschem

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Am Montag, den 11. Mai 2009, besuchte Papst Benedikt XVI, also Joseph Ratzinger die Holocaust-Gedenkstätte in Jad Vaschem. Gegen 16:30 unserer Zeit hielt er dort eine unerwartet kurze Rede, die in fast alle Länder der Welt live übertragen wurde. Auch ich ließ sie mir nicht entgehen.
Nach diesem schlimmen Auftritt des deutschen Papstes war ich zunächst sprachlos, dann geschockt, dann wütend bis entsetzt. Gut, dass ich mich nicht dazu äußern muss. Ich verweise auf den Kommentar des n-tv – Israel-Korrespondenten Ulrich W. Sahm, der gestern bei haGalil erschienen ist.

Ich schließe mich den Bewertungen Ulrich W. Sahms voll und ganz an. In voller Länge können Sie den Text bei haGalil lesen; hier dokumentiere ich in folgenden einen kleinen Ausschnitt.

Werner Jurga, 12.05.2009

 

Ulrich W. Sahm:
Die Papstrede in Jad Vaschem
haGalil, 12.05.2009

«Ich bin gekommen, um in Stille vor diesem Denkmal innezuhalten, das errichtet wurde zur Erinnerung an das Gedenken der Millionen Juden, die in der schrecklichen Tragödie der Schoah getötet wurden.» Israelis monierten, wieso der Papst nicht die symbolische Zahl „sechs Millionen“ über die Lippen brachte. Die Verwendung des Wortes „Tragödie“ klingt wie ein Erdbeben, ein Tsunami oder ein anderes Unglück, nicht aber wie ein von Menschen ausgedachter industrieller Massenmord.
…
Der Papst sagt weiter: „Sie verloren ihr Leben…“ Das Leben verliert man bei Autounfällen, Katastrophen oder durch Krebs. Doch die Juden in Auschwitz „verloren“ nicht nur das Leben. Sie wurden zum Sterben in die Gaskammern geschickt, also willentlich ermordet.
Jene, die „ihr Leben verloren“ würden niemals ihren Namen verlieren, sagt der Heilige Vater weiter. Er spielt auf das Bemühen von Jad Vaschem an, die Namen der Opfer herauszufinden, um sie zu verewigen. Nur etwa die Hälfte der rund 6 Millionen jüdischen Opfer der Schoah sind namentlich bekannt. Die Darstellung des Papstes, dass jene, die „ihr Leben verloren“ hätten, niemals ihren Namen verlieren, wird von den Juden als eine ihrer größten Tragödien empfunden. Fast ein Viertel des Volkes hat nicht nur den Namen verloren. Die Toten wurden verbrannt. Das ist ein extremer Frevel bei Juden, die an ein Begräbnis glauben, damit ihre Knochen am Ende der Tage wieder auferstehen können. Deshalb muss ein Jude komplett begraben werden. So haben die Nazis den ermordeten Juden nicht nur ihre Identität und den Namen geraubt, sondern sogar die Chance, am Ende der Tage an der Wiederauferstehung teilzunehmen.
Wusste der Papst etwa nicht, dass drei von sechs Millionen Juden nicht nur „getötet“ wurden und „ihr Leben verloren“, sondern auch ihres Namens beraubt wurden?

Der Papst redete weiter von „überlebenden Mitgefangenen“. Das klingt, als seien jene Juden, die „ihr Leben verloren“ rechtmäßige Gefangene gewesen. Entsprechend waren die Überlebenden „Mitgefangene“. Die meisten Juden waren nicht einmal zeitweilig „Gefangene“, sondern wurden nach der Selektion an den Rampen der Vernichtungslager ohne Prozess und Gerichtsurteil direkt in die Gaskammern gejagt. Unvorstellbar, dass der Papst beschönigend von „Mitgefangenen“ redet, wenn er Überlebende des Holocaust erwähnt.
Der Papst sagt weiter: „Man kann einen Nachbarn seines Besitzes berauben, seiner Möglichkeiten oder seiner Freiheit“. Man könne ein Netz spannen, damit gewisse Gruppen keinen Respekt genießen. Aber man könne niemals einem menschlichen Wesen den Namen stehlen.
So vergleicht der Papst den Holocaust, die systematische Entrechtung der Juden, ihre Erniedrigung zum Ungeziefer und schließlich ihre systematische Ausrottung letztlich mit Kleinkriminalität unter Nachbarn im bayrischen Hintertupfingen. Erneut verkennt er, dass es das Ziel der von ihm nicht erwähnten Nazis war, die Juden nicht nur ihres Besitzes zu berauben, ihnen jenseits von „Möglichkeiten“ ihr Leben und ihre Angehörigen auszulöschen und sie keineswegs nur ihre „Freiheit“.

Nach Zitaten aus dem Alten Testament, das der christliche Papst für sich in Beschlag nimmt, behauptet Ratzinger, dass die Juden im Holocaust ähnlich wie Abraham von Gott geprüft wurden. „Ihr Glaube wurde getestet“, sagte Benedikt XVI in schlechtem Englisch. „Wie Jakob waren sie eingetaucht in den Kampf, die Wege des Allmächtigen zu erkennen.“ Ins Hochdeutsche übersetzt war also der weltliche Rassenwahn der Nazis, und der nachfolgende industrielle Massenmord an Frauen, Kindern und Greisen, bei der Wannsee-Konferenz geplant und von Rechtsanwälten abgesegnet, kein modernes Verbrechen an der Menschlichkeit, sondern eine religiöse Prüfung. Als hätten damals Jene, die vermeintlich auf den „Wegen des Allmächtigen“ wandelten, auch nur die geringste Chance gehabt, ihrem eigenen Tod und dem ihrer Frauen und Babies zu entkommen.
So hat Professor Joseph Ratzinger in seiner weltfremden aber gewiss gelehrten theologischen Vorlesung in Jad Vaschem den sechs Millionen Opfern der Nazis mitgeteilt, dass ihr Tod in Wirklichkeit ein von Gott gestartetes Glaubensexperiment war, um ihre Frömmigkeit zu prüfen. Die Juden waren offenbar selber schuld, wenn sie die Prüfung nicht bestanden. Deshalb mussten sie halt sterben. Wie gut, dass Gott willige Helfer hatte, zum Beispiel die Deutschen, die Nazis, und deren Helfershelfer, von denen Ratzinger freilich nichts gehört hatte und die er deshalb nicht erwähnt.
In der logischen Folge hat deshalb der deutsche Professor Worte wie „Mord“ oder „Verbrechen“ vermieden und die Täter nicht beim Namen genannt. Wenn überhaupt, war es der Gott der Juden, der sein Volk auf den Prüfstein legte und dafür Unbekannte anheuerte, um sie alle umzubringen, nachdem sie bei der Prüfung durchgefallen waren ...

Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 12.05.2009

 

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