Die SPD in der neuen Zeit

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Die Bundestagswahl verloren, die Posten neu verteilt, muss die SPD jetzt eigentlich nur noch kurz klären, wo es künftig langgehen soll. SPD wohin? Oder, um der ganzen Sache den nötigen intellektuellen Kick zu geben:
 

Quo vadis, SPD?

Links! Rechts! Links! Rechts! Ratlos wie die Brüder Klitschko am Scheideweg, die sich zunächst einmal eine Milchschnitte gönnen, um dabei ernüchtert feststellen zu können: „Hier waren wir schon mal.“
Die Sache ist vertrackt: nimmt die SPD den linken Weg, verliert sie womöglich Wähler in der Mitte, worauf Peer Steinbrück in seiner Brandrede im SPD-Vorstand warnte. Die Partei habe deutlich mehr Wähler an die CDU verloren als an die Linkspartei, merkte Steinbrück an. Dass bei der Wählerwanderung der dickste Pfeil in Richtung Nichtwähler zeigte, blieb in seiner „Abrechnung“ ebenso unerwähnt wie die sich daraus aufdrängende Konsequenz, die SPD solle etwas mehr nach rechts rücken.
Die Vertreter der Parteilinken legten sich in dieser Hinsicht deutlich weniger Zurückhaltung auf und forderten offen eine Hinwendung der Partei zur linken Konkurrenz. Die Agenda-Politik, Hartz IV und die Rente mit 67 seien die Ursachen dieses Wahldebakels und folglich zurückzunehmen – zunächst programmatisch, womit die Oppositionszeit auf vier Jahre begrenzt garantiert sei, und 2013 als erstes Regierungshandeln.

Allerdings war auch schon in den letzten Jahren, zwar nicht ganz so offen, aber doch deutlich erkennbar, dass Nahles und Wowereit sich die Richtung der SPD in etwa so vorstellen, wie auch Steinbrück nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass er am liebsten weiter mit CDU und CSU regieren würde. Kein Wunder, deshalb heißen sie ja so: Parteilinke und Parteirechte.
Links! Rechts! Links! Rechts! – Wladimir, ich glaube, hier waren wir schon mal. Die Plastik-Verpackung der Milchschnitte spricht eine klare Sprache. Schokoriegel lügen nicht. Ich frage mich bis heute, was sich die Werbeagentur dabei gedacht hat, den Eindruck zu erwecken, außer den Klitschkos käme kein Mensch auf die Idee, eine Milchschnitte zu futtern. Egal – ein Werbefilmchen. Aber dass die SPD schon – weit mehr als – einmal an diesem Punkt war, nämlich am Scheideweg zwischen links und rechts, steht außer Frage.
 

Mit uns zieht die neue Zeit

 Die SPD ist mit knapp 150 Jahren Deutschlands älteste Partei. Ihre Entstehungsgeschichte und ihr Aufstieg sind untrennbar verknüpft mit der Geschichte der Industrialisierung. Wird die SPD auch zusammen mit der Industriegesellschaft verschwinden?
Ziel der SPD – wie auch der Gewerkschaften – war (und ist), die Lage der arbeitenden Klassen bzw. der Arbeitnehmer, wie es im heutigen Sprachgebrauch heißt, zu verbessern. Die Fortschritte der Arbeiterbewegung bspw. auf den Gebieten Arbeit, Wohnen, soziale Sicherheit und schließlich auch Bildung sind unübersehbar. Dieser Emanzipationsprozess stößt – im Verein mit dem Wandel der Arbeits- und Lebenswelt – einen historisch bislang unbekannten Individualisierungsschub an, der zu einem Verfall der Bindungen an sportliche, kirchliche, gewerkschaftliche und politische (Groß-) Organisationen führt, von dem die Sozialdemokratie in besonderer Weise betroffen ist. Weder in Deutschland noch anderswo hat die Sozialdemokratische Partei bislang ihren Platz unter diesen neuen Bedingungen finden können.

Wie wir nicht zuletzt an der gegenwärtigen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise unschwer erkennen können, handelt es sich nach wie vor um Kapitalismus; aber er hat, wie es soziologische Theoretiker schon vor rund einem Vierteljahrhundert, also schon vor dem Zusammenbruch des Sowjetsozialismus´ bezeichneten, ein „neues Gesicht“. Auf die Chancen und Risiken, die das für die Menschen mit sich bringt, auf die individuellen und gesellschaftlichen Hoffnungen und Ängste, auf die Erfolge der einen und die Katastrophen der anderen hat die Sozialdemokratie noch nicht in hinreichender Form Antworten, oder sagen wir besser: politische Angebote gefunden.
Die eingangs erwähnte klassische Frage „links oder rechts“ wird unter diesen Bedingungen nicht überflüssig; allerdings schafft sie für sich genommen noch keinen Zugang zur hier kurz angerissenen „neuen“ Dimension des Problems.
 

Ziehen wir auch mit der neuen Zeit?

Konkret bedeutet dies, wie es Franz Walter in seinem „Fünf-Punkte-Plan für eine neue SPD“ formulierte:
Die Sozialdemokraten haben zu klären, was sie eigentlich wollen. Alle Organisationsreform, alle neuen Leute an der Spitze allein werden nicht das Geringste bewegen, wenn die Partei nicht weiß, wer sie ist, für wen sie Politik machen will, auf welchem Wege, zu welchem Ziel und mit welchen Weggenossen.

Nach Ansicht eines ganz anderen Autoren gibt es für die Linke nur eine schlüssige Stoßrichtung - und zwar, eine international orientierte Politik zu prägen, die sich primär dafür interessiert, die Globalisierung zu managen. Dies gehört zu den vordringlichsten politischen Aufgaben der nächsten Jahrzehnte. Auch der Klimaschutz fällt darunter, ebenso wie die Regulierung globaler Finanzströme. Da die kontinentaleuropäischen Christdemokraten und die angelsächsischen Konservativen sich weitgehend vor dieser Herausforderung drücken, eröffnet sich hier für eine moderne Linke eine neue Perspektive.
Diese Sätze stammen von Wolfgang Münchau, einem Kolumnisten der Financial Times und der Financial Times Deutschland. Münchau ist gewiss kein Parteigänger der SPD, insofern ist Vorsicht geboten, wenn er sich als deren Berater betätigt und sich Gedanken macht über – so der Titel seines Aufsatzes - das nächste linke Projekt, der übrigens bereits zwei Monate vor der Bundestagswahl erschienen ist. Auch wenn sich die konservative deutsche Kanzlerin gegenwärtig – vermeintlich oder tatsächlich? – anschickt, sich international an die Spitze der Bewegung zu stellen, die den globalisierten Kapitalismus an die Leine legen will: Münchaus Zweifel an der diesbezüglichen Bereitschaft und der Fähigkeit der bürgerlichen Rechten scheinen mir nur allzu berechtigt. Werden die Sozialdemokraten die Kraft finden, den drohenden Kollaps der Weltwirtschaft und die absehbare Klimakatastrophe nicht nur ins Zentrum ihres politischen Tuns zu rücken, sondern auch breite Bevölkerungsschichten für diese Themen sensibilisieren und mobilisieren können?

Die SPD kann freilich ihren Aufgaben erst dann gerecht werden, wenn sie sich selbst in grundlegender und umfassender Weise erneuert. Und wenn der Parteiapparat sein Verhältnis zu den Mitgliedern und den (potenziellen) Wählern modernisiert. Tissy Bruns schreibt in ihrem Tagesspiegel-Kommentar zur Bundestagswahl:
Die globalisierte Welt verteilt Rechte und Möglichkeiten zur Partizipation neu und ungleich. Die ganz normalen Leute spüren es und wenden sich ab. Die Finanzkrise hat die ökonomische Privilegierung der Wenigen und die politische Ohnmacht der Vielen dramatisch an den Tag gebracht.
Produktiv war die SPD für die Bundesrepublik, wenn sie beides war: Mitte und links, staatstragend und Schutzmacht der kleinen Leute. Dieser Platz ist leer. Andere Köpfe, linke Koalitionspartner können die SPD nicht retten, wenn sie ihre soziale Idee nicht auf die Höhe der Zeit bringen kann
.

Zum Schluss möchte ich Barbara Dribbusch zitieren. Ihren Kommentar Jenseits der Hamsterräder habe ich vorgestern in der taz gefunden.
Der Absturz der SPD ist auch ein Symptom dieses Zerfaserns der Mittelschichten. Deswegen könnten neue, integrative Solidaritätsmodelle für die Sozialdemokraten aber auch eine spannende Aufgabe sein. Ein neuer "Sozialpakt", der auch junge WählerInnen aus den Mittelschichten gewänne, müsste dabei Elemente der Linken mit Werten des liberalen Bürgertums wie etwa der Selbstbestimmtheit neu verknüpfen. Die SPD könnte einerseits einen höheren Spitzensteuersatz und einen gesetzlichen Mindestlohn fordern, andererseits aber auch Beschäftigungsprogramme neu entwerfen und Vorschläge machen, Hartz IV zu entbürokratisieren.

Dribbusch hat Recht; allerdings ist es das Geringste, ihre Anregungen in irgendein Programm zu schreiben. Das kann die SPD. Es wird in nächster Zeit darum gehen, all die Denkanstöße wie bspw. dieser hier zitierten vier Autoren in das Denken und Leben dieser Partei zu transformieren. Dies ist eine Herkulesaufgabe. Deren Bewältigung ist für die SPD jedoch die Existenzfrage. 

Werner Jurga, 13.10.2009

 

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