Dieser Kommentar entsprach nicht  ...

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

„Dieser Kommentar entsprach nicht den Nutzungsbedingungen“

So lautet der Titel der heutigen Kolumne. Aber manchmal läuft es nicht so, wie man sich das so alles vorgestellt hat. Dazu fällt mir ein Spruch ein; eine alte Weisheit, wenn Sie so wollen:
“Da macht man einen Plan, und dann hält sich keiner dran“, heißt es. Also „er“, der Spruch; nicht etwa „sie“ wie „die Weisheit“. Denn weise ist das ja nun wirklich nicht. Dennoch kommt es immer wieder vor. “Da macht man einen Plan, und dann hält sich keiner dran“, ist einfach doof.
Zum Schmunzeln auch deshalb, weil „dran“ sich ja nicht wirklich auf „Plan“ reimt. Hier passt es ausnahmsweise mal, dieses meistens doch recht planlos verwendete „nicht wirklich“. Nein, etwas zu planen, und sich dann nicht daran zu halten, ist nicht schlau. Zumal wenn es sich um ein Vorhaben mehrerer Menschen handelt, also um eine organisierte Menschengruppe, die eben deshalb auf Planung angewiesen ist. Oder, wie es im Kindergarten heißt: wenn Menschen zusammen leben, brauchen sie Regeln. Ist ja auch nicht so schwer zu verstehen. Wirklich nicht.

Dies gilt, sagen wir einfach mal so, auch für die SPD, auf deren Parteitag vom letzten Freitag sich all diese Anmerkungen irgendwie beziehen könnten. Aber Regeln begegnen unsereinem ja überall und ständig, so zum Beispiel auch im Online-Portal der WAZ-Gruppe, derWesten.de. Einerseits heißt es, man dürfe die Artikel der WAZ oder NRZ oder so ganz frei kommentieren, also einfach mal so als freier Mann in der freien Welt ganz freimütig seine freie Meinung äußern. Andererseits: nimmt man sich mal diese Freiheit, und schreibt auch mal Dinge, die politisch nicht so ganz in den Kram passen, schlägt sogleich die Zensur erbarmungslos zu und löscht die dissidente Meinungsäußerung. Stattdessen erscheint dann an diesem Ort der Spruch:

„Dieser Kommentar entsprach nicht den Nutzungsbedingungen“

So ist es zum Beispiel dem Leser namens „MF“ ergangen, der dann immerhin noch erklären durfte:
Offensichtlich bin ich mit meinem Kommentar der "unabhängigen / überparteilichen" Redaktion auf die Füße getreten, weil ich die WAZ/NRZ als Zentralorgan der SPD bezeichnet habe.
Dadurch wird immerhin offensichtlich, dass es offensichtlich daran nicht gelegen haben kann. Aber einer wie „MF“ lässt sich durch die Regeln, sprich: „Nutzungsbedingungen“, sprich: Repressalien des sozialdemokratisch-publizistischen Komplexes nicht brechen. Im Gegenteil, ebenso kenntnisreich wie locker schreibt er gegen das Meinungsmonopol an:
Sorry Leute, aber Ihr seid nun mal ein Tendenzbetrieb der die Meinung Eures Herausgebers Bodo Hombach vertreten muss.

Wow, der hat Mut! Unser Freiheitskämpfer, der „MF“. Wie der Denen das einfach so entgegen schleudert: bei Euch gilt ja nur die Meinung Eures Herausgebers. Logisch, nicht etwa die Ansichten des Chefredakteurs; denn die WAZ ist ja ein „Tendenzbetrieb“. Richtig. Richterlich. Höchstrichterlich.
Was der alles weiß, der „MF“. Ob der auch weiß, dass der Chefredakteur der WAZ-Gesamtausgabe Ulrich Reitz heißt, und dass der Duisburger Chefredakteur seinem Parteitagsbericht die folgende Überschrift gegeben hat?

SPD stand vor einer Zerreißprobe

Okay, an den Reitz hat „MF“ nun gerade nicht gedacht; aber an Gerrits und diese Überschrift sehr wohl. Und weil Jäger und Brandt und Krings auch alle so etwas auf dem Parteitag gesagt hatten, war für ihn der Fall völlig klar: Gerrits genau wie „die da oben“. Dass es kein Verein gern sieht, mit einer Zerreißprobe in der Zeitung zu stehen, zumal keine Partei, die sich einer Wählerschaft zu stellen hat, die Geschlossenheit erwartet und jede kleine Unklarheit erbarmungslos abstraft … Nebensächlichkeiten. Jedenfalls für einen coolen Insider wie „MF“.
Ich kann Ihnen nicht sagen, gegen welche der „Nutzungsbedingungen“ er verstoßen haben könnte. Aber allein die Tatsache, dass die Orthographie seines nachgeschobenen Beitrags einigermaßen in Ordnung ist, und dass das Pseudonym „MF“ zwar für unsereins, nicht aber für andere Insider richtig anonym zu sein scheint, begünstigt die Annahme, dass hier weder besonders Schmieriges vorgetragen noch gar ein fieses Wort benutzt wurde. Denn das, was in jedem (eMail-) Briefkasten einer jeden Behörde zu beobachten ist, gilt auch hier – bei der Personalfrage innerhalb der Duisburger SPD. Anonymität in Verbindung mit LSR (Lese- und Rechtschreib-Schwäche) und Gedankenarmut begünstigt Denunziation in Verbindung mit Gossensprache.

Freilich gilt, wo wir uns gerade mit Regeln beschäftigen: „Derjenige, der zum erstenmal an Stelle eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation“ (Sigmund Freud). Doch der ist inzwischen schon verstorben und konnte schon allein deshalb weder auf dem Parteitag erscheinen noch einen Kommentar in derWesten.de schreiben. „Zivilisation“ – hört sich zwar ganz gut an, bedeutet aber nichts Anderes als das klemmende Regelkorsett, das es einem einfach unmöglich macht, einfach mal zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit seinen Senf dazu zu geben.
Und Sigmund Freud? War das nicht dieser etwas perverse Psycho-Heini, dem bei einer Zigarre nichts Anderes einfiel als … Von wegen Zivilisation, ich bitte Sie! Hat der nicht auch den „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“ erfunden? – Na egal. So etwas gibt es natürlich. Zugegeben: schon blöde irgendwie, aber immer noch besser als „Tot aus Angst vor dem Selbstmord“.
Tja, alles schon da gewesen. Das hat jetzt aber wirklich nichts mehr mit der SPD zu tun.
Ganz gewiss nichts mit der Duisburger SPD zu tun hat Hubert Speidels Aufsatz „Das Trauma der Vatermörder“ (Cicero, 10 / 2008). Denn der wurde ja schon vor dem 19. September verfasst und beginnt folgendermaßen:

Die jüngsten dramatischen Ereignisse in der SPD offenbaren ein komplexes System der Konfliktkomponenten – Rechts-Links-Konflikt, Männer-Frauen-Konflikt, den Konflikt mit einem zu nahe verwandten Feind, Karriererivalitäten und Bedeutungsverlustangst. Als Basis für das künftige Parteihandeln mag das hinreichen, für das Verständnis der charakteristischen Mechanismen des Umgangs der Partei mit ihrer Führung genügt es nicht.

Werner Jurga, 21.09.2008

 

 

Hubert Speidel: „Das Trauma der Vatermörder“ , Cicero, Heft 10 / 2008, Seite 60.
Jenseits der tagespolitischen Ränke von Verrat und Intrige stellt sich die Frage nach dem kollektiven Unterbewusstsein der Volkspartei. Handelt es sich gar um eine Neurose von chronischen Vatermördern?

 

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