Frei, das heißt allein

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Heute vor 48 Jahren begann die DDR mit dem Bau der Berliner Mauer. Gestern wurde in einer Revisionsverhandlung die Haftstrafe für die Mutter des zweijährigen Robin von fünfeinhalb auf acht Jahre erhöht. 

Am 13. August 1961 wurde die DDR vollständig vom Westen abgeriegelt. Das kam insofern etwas überraschend, als dass Walter Ulbricht, der damalige Boss der DDR, zu entsprechenden Gerüchten erklärt hatte: „Niemand hat die Absicht, um unsere Hauptstadt eine Mauer zu bauen. Unsere Bauarbeiter haben anderes zu tun.“ Vermutlich werden Sie auch heute, wie an jedem Jahrestag, dieses Zitat als historisches Dokument auf dem Bildschirm zu sehen und zu hören bekommen.
Und natürlich hatte auch niemand die Absicht, um unsere Hauptstadt, also um Ost-Berlin, eine Mauer zu bauen, zumal die Bauarbeiter schon dafür eingeplant waren, eine Mauer um West-Berlin zu bauen. Ganz so blöd waren die da drüben nun auch wieder nicht. Und wenn man schon eine Mauer gebaut hat, muss man auch schießen (lassen), sonst könnte ja, wie Stefan Heym treffend festgestellt hatte, irgendjemand einfach eine Leiter dran stellen. 

Heute also wieder Mauer-Gedenktag. Dass übrigens auch Bulgaren und Polen, Tschechen und Rumänen nicht so einfach mal über die Champs Élysées trottieren durften, weil ein Eiserner Vorhang die Durchreise erschwert hatte, gerät dabei ebenso aus dem Blick wie der Umstand, dass unter den Opfern der Mauer zahlreiche Kinder waren. Darauf macht uns heute dankenswerterweise der Berliner Tagesspiegel aufmerksam.

Die führende Hauptstand-Zeitung hat sich dabei für die Überschrift entschieden:
 

Kinder als Maueropfer
Jung, unschuldig, tot

Der Artikel klärt uns bspw. darüber auf, wie die Mauermörder Holger H. zur Strecke gebracht hatten. Interessant:
Jüngstes Opfer ist Holger H.. Das 15 Monate alte Kind erstickt bei der Flucht seiner Eltern im Januar 1973. Das Baby hatte während der Kontrolle am Grenzübergang Drewitz in der Kiste, die es verbarg, zu schreien begonnen. Seine Mutter hielt ihm den Mund zu, nicht bedenkend, dass das Kind mit Mittelohrentzündung und Bronchitis nicht durch die Nase atmen konnte.
Das ist natürlich Pech. Nun, man kann freilich auch nicht immer an alles denken. Schon gar nicht, wenn einen der Freiheitsdrang (angeboren!) so richtig überkommt. Und wenn man zu alledem auch noch ostdeutsche Mutter eines Kleinkindes ist.

Davon kann zum Beispiel Yvonne E. ein Lied singen.
Die Mutter hatte ihren kranken Sohn kurz vor Weihnachten 2007 fast drei Tage lang allein in seinem Gitterbett zurückgelassen und mit ihrem vierjährigen Sohn einen Chat-Partner in Hagenow (Mecklenburg-Vorpommern) besucht. Die damals 23-Jährige legte ihm lediglich ein paar Kekse und eine Flasche hin, obwohl er die gar nicht mehr halten konnte. Als sie an Heiligabend heimkehrte, sah sie, dass es dem Kind sehr schlecht ging. Einen Arzt benachrichtigte sie aber erst, als Robin schon nicht mehr atmete.
 

Die Mauer ist weg
die Gitter sind noch da

Yvonne E. hatte erklärt, sie habe Angst gehabt, dass das Jugendamt ihr das Kind wegnehmen würde. In der Weihnachtszeit 2007*, also neunzehn Jahre nach dem Mauerfall, war Yvonne zwar relativ frei. Aber, wie uns bereits Roland Kaiser aufgeklärt hatte: frei, das heißt allein.
Und dann auch noch allein mit zwei Kindern, um die sich der Vater einfach nicht gekümmert hat, nicht zuletzt auch deshalb, weil er zum angegebenen Zeitpunkt zufälligerweise justament relativ unfrei war, weil er nämlich gerade eine Haftstrafe verbüßen musste.

Da hat sich Yvonne E. gedacht, also seine Freundin und die Mutter seiner Kinder: Chattest Du mal ein bisschen! Und dann, wie das halt so geht, wollte sie ihren Chat-Partner auch einmal persönlich kennenlernen. Auch menschlich. Also auf nach Mecklenburg-Vorpommern! Den vierjährigen Sohn nimmt sie mit, doch der zweijährige hätte nun wirklich gestört. Net-tribune berichtet:
Die Mutter hatte ihren kranken Sohn kurz vor Weihnachten 2007 fast drei Tage lang allein in seinem Gitterbett zurückgelassen und mit ihrem vierjährigen Sohn einen Chat-Partner in Hagenow (Mecklenburg-Vorpommern) besucht. Die damals 23-Jährige legte ihm lediglich ein paar Kekse und eine Flasche hin, obwohl er die gar nicht mehr halten konnte. Als sie an Heiligabend heimkehrte, sah sie, dass es dem Kind sehr schlecht ging.
In der Bundesliga sagt man in solchen Fällen: „Gut gedacht!“ Wie eingangs bereits erwähnt, wurde gestern die Haftstrafe für Yvonne E. von fünfeinhalb auf acht Jahre erhöht.

Yvonne E. hatte erklärt, sie habe Angst gehabt, dass das Jugendamt ihr das Kind wegnehmen würde. Ihre damals sechs Jahre alte Tochter lebte schon bei Pflegeeltern.
Und dass die Jugendämter die Kinder wegnehmen, greift in letzter Zeit, wie die WAZ gestern berichtet hat, verstärkt um sich.

Tja, die Mauer ist weg. Die DDR gibt es nicht mehr. Zwangsadoptionen gibt es aber immer noch. Und die Freiheit? Mal ja, mal nein. Macht aber nichts. Denn: Frei, das heißt allein.

Werner Jurga, 13.08.2009

 

* In der Weihnachtszeit 2007* standen die von ihren Eltern getöteten Kinder im Mittelpunkt des Medieninteresses.

 

 Songtext Frei, das heißt allein
 

Frei, das heißt allein,
So wie der Wind, ohne ein Ziel.
Frei, das wollt ich sein,
Warum lag mir, daran so viel? 

Du, hab ich gesagt, ich komme mir gefangen vor.
Mir war noch nicht klar, was ich durch dieses Wort verlor.

Er zog mich an, der Glanz dieser großen Stadt.
Mädchen und Tanz, Musik,
Diese Show, mal ein Abenteuer,
Wie das doch sinnlos war. 

Heute weiß ich, frei, das heißt allein.
Was hab ich eingetauscht dafür.
Frei, das wollt ich sein,
Nun bin ich ausgebrannt und leer.
 

 

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