Hitler kopflos

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Letzte Woche war ich, wie bereits erwähnt, im Urlaub.
Wie immer habe ich mir die Nachrichten im Fernsehen angesehen; wie immer im Urlaub hatte ich unter diesen Umständen allerdings auch mehr Einblicke auf, manchmal auch in die Zeitungen mit den großen Buchstaben. Dieser und jener „Express“ und selbstverständlich auch die Bildzeitung waren wie immer entsetzt, in der letzten Woche über die anstehende Rückkehr des Gröfaz, des größten Führers aller Zeiten, in das Herz Berlins. Die Tagesschau wusste zu berichten, dass auch prominente Menschen, die zu den Guten gehören wollen oder es auch tatsächlich tun, ihre Abscheu darüber zum Ausdruck brachten, dass der Herr Hitler in der Wachsfiguren-Ausstellung von Madame Tussaud einen Platz erhalten soll.
Die Ostsee-Zeitung schrieb in ihrem Kommentar „Antifa für Arme“: Die politisch ganz Korrekten sind sich schon vor der Eröffnung einig: Adolf Hitler dürfe nicht im Berliner Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds Platz nehmen. Wenn, dann isoliert ... Ja eben: da könnte ja so ein Guter wie Brad Pitt in ein völlig schiefes Licht geraten, so direkt neben dem Gröfaz. Etwas feinsinniger: unerträglich sei, dass Hitler in unmittelbarer Nähe zum Gedenkmal für die ermordeten Juden Europas gezeigt werde. Kein Witz, ist wirklich vorgetragen worden! – Etwas ratlos vergewisserte ich mich, dass dieser Hitler tatsächlich irgendetwas mit dem Massenmord an den Juden zu tun hatte. Die Ostsee-Zeitung gelangt zu der Bewertung: wenn man schon die NPD nicht verbieten kann, dann wenigstens den „Hitler“? Das ist Antifaschismus für Arme.

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“Wo habe ich nur meinen Kopf?”

Hauptsache: Kopf ab!

Dann vorgestern, letzten Samstag, einige Minuten nach der Eröffnung der Ausstellung: der 41jährige Frank L. schubst zwei Wachmänner beiseite und reißt dem Führer den Kopf ab. Ja, so kann´s gehen, wenn tagelang in allen Medien Stimmung gemacht wird, wenn die Bildzeitung zum Angriff bläst, und auch die Guten ihre Rückendeckung signalisieren. Und was jetzt? Der arme Gröfaz! Man bedenke: ein Mann ohne Kopf ist zeitlebens ein Krüppel.

Nun ja, ich fand die ganze Sache recht amüsant. Nicht, dass mich die Hitlerfigur dort in der Ausstellung irgendwie gestört hätte. Der Herr Hitler hätte mir auch nicht sonderlich gefehlt. Nur diese ganze Kampagne ging mir ziemlich auf den Keks. Und dann das: ein Gelegenheitsganove macht den Gröfaz sofort einen Kopf kürzer. Starke Nummer! Ob die Leute von Madame Tussaud den Typen bezahlt haben? – Keine Ahnung.
Broder spottet: „Endlich hat ein Hitler-Attentat geklappt.“ Aber der muss ja auch lachen, wenn er das Stelenfeld nebenan sieht. Der Berliner SPD-Abgeordnete Frank Zimmermann hingegen weiß, was sich gehört: „Es ist schon eher eine Kunst, Hitler den Kopf abzureißen, und weniger eine Kunst, Hitler überhaupt aufzustellen.“ Weniger Kunst, schon eher Kunst, richtige Kunst – heutzutage gehen da die Meinungen ja auseinander. Kann eigentlich jeder so ziemlich sagen, was er will. Als SPD-Mann sagt man jedoch am besten so etwas wie der Frank – der Frank Z., nicht der Frank L. - Hauptsache: Kopf ab!
Über den Kopfabreißer erfahren wir gestern :
Frank L. zeigte auch Reue. «Gestern hätte ich gesagt, ich fühl mich gut. Aber heute tut es mir schon wieder leid, was ich da getan habe», sagte er dem Internetportal „Morgenpost Online“. Ich sagte ja bereits: der arme Gröfaz! Jetzt hängt er kopflos irgendwo rum. Irgendwo? – Ausgerechnet auch noch in England. Kopflos in England, Hitler im Linksverkehr: späte Rache.
Andererseits hat es dieser Hitler ja auch irgendwie verdient. Rolf Potthoff weist heute in seinem exzellenten WAZ-Kommentar auf folgendes hin:
Der Beifall vieler Gutmeinender ist ihm (dem Frank L., W.J.) gewiss. Hitlers Enthauptung wird wie eine genugtuende Befreiung gewirkt haben. Was man verstehen kann;
wenn man denn meint, es müsse einem Genugtuung widerfahren, man müsse befreit werden – von mir aus (W.J.) -
doch es ist nicht mehr als simple Symbolik. Und die schadet eher dem, was gegen Rechts noch zu tun ist.

Seinen Schlusssatz leitet Potthoff ein mit einem „Übrigens“.
Die mit den Springerstiefeln, die sieht man. Faschistoide im Nadelstreif sieht man nicht. Aber sie sind gefährlicher als ein Hitler aus Wachs.

Das stimmt - übrigens.

Werner Jurga, 07.07.2008

 

Struck befürchtet Trittbrettfahrer
Spiegel online

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