Höchste Zeit für ein Verbot!

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Im vergangenen Winter wurde der Strom für 8.300 Familien in Duisburg abgestellt. Ich weiß nicht, in wie vielen Fällen der Gaszähler abmontiert wurde. Ich muss annehmen, dass die Zahl hier nicht wesentlich kleiner ist.

Ich muss sagen: das wusste ich bis vor einigen Tagen nicht. Leider muss ich auch sagen: ich wusste, dass es so Etwas gibt. Ich muss zugeben, mir keinerlei Gedanken darüber gemacht zu haben, wie viele Menschen im letzten Winter bei Kerzenlicht frieren mussten, und jetzt wohl auch wieder. Ich denke darüber nach, warum ich es nicht wissen wollte.Selbstverständlich spielt die Zahl eine Rolle: 8.300 Familien in Duisburg! Natürlich hängt dieser Skandal mit der ökonomischen Situation unserer Stadt zusammen. Der „Stern“ (04.11.2008) wies vor zwei Wochen darauf hin, dass die Duisburger die höchste Verschuldungsquote im Lande haben:

Unter den Großstädtern haben die Bewohner
von Frankfurt am Main die niedrigsten Schulden (11,92 Prozent),
die Duisburger die höchsten (16,29 Prozent).

Möglicherweise könnte der von SPD und Linkspartei ins Gespräch gebrachte Sozialtarif auch in puncto „Unterbrechung“ der Strom- und Gasversorgung für ein wenig Abhilfe schaffen. Derlei Vorschläge sind aus sozialen wie ökologischen Gründen ohnehin grundsätzlich zu begrüßen.
Frage: was meinen Sie? Wird die Anzahl der Familien, denen der Gaszähler abmontiert wird, mit der Senkung des Gaspreises zum 1. Januar nennenswert zurückgehen? Wird sie überhaupt sinken? – Ich glaube nicht.

Wir brauchen uns nicht mit der Frage aufzuhalten, ob die Menschen, denen Strom und / oder Gas gesperrt wird, in einer schwierigen sozialen Lage oder ob sie selbst schuld sind. Die Antworten liegen auf der Hand:
Alle Betroffenen befinden sich in einer schwierigen sozialen Lage. Und zur Schuldfrage: fast immer – aber auch auf dieser Ebene gibt es Ausnahmen – sind die Leute „selbst schuld.“ Die Anführzeichen haben eine Reihe von Gründen. Zunächst einmal diesen: die Leute drehen sich ja nicht selbst den Strom oder die Heizung ab. Wer dies für eine Banalität hält, sollte sich vergegenwärtigen, dass wir hier über vorsätzliche Körperverletzungen reden, zumindest über versuchte. Wer Menschen im Winter tage-, wochen- oder gar monatelang in ungeheizten Wohnungen sitzen lässt, attackiert willentlich Leib und Gesundheit und nimmt Erkrankungen und Gesundheitsschäden billigend in Kauf.
Wer auf die Schuldfrage verweist, der sei darauf hingewiesen, dass diese „Strafmaßnahme“ auch und gerade Kinder trifft. Die können nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass ihre Eltern, die ihnen i.d.R. ohnehin schon keine besonders schöne Kindheit bescheren, aus welchen Gründen auch immer die Rechnung der Stadtwerke oder eines Konkurrenzunternehmens nicht bezahlen. Von diesen Kindern laufen Tausende herum – nicht in der Dritten Welt (da sind es nämlich Millionen), nein hier in Duisburg. Sie können morgen wieder einige von ihnen sehen. Wenn Sie wollen. Zugegeben: wer will das schon?!

Tausende Kinder frieren - hier und jetzt

Vielleicht haben Sie aber auch die Möglichkeit, sich die Täter anzusehen. Irgendjemand muss ja wohl angeordnet haben, die Versorgung im Falle chronischer Nichtzahlung zu unterbrechen. Irgendjemand wird die Akte der entwurzelten Familie XY bearbeitet haben. Irgendjemand hat den Gaszähler dann vor Ort abmontiert oder den Strom abgeschaltet.
Ganz ohne Zweifel reden wir hier über Körperverletzungen. Wir reden über verkorkste Kindheiten und über die anonyme Erziehung von denen oder über die „da draußen“ oder „da oben“. Es ist kaum anzunehmen, dass auf die Art und Weise Stadt und Land „Freunde fürs Leben“ gewinnen. Wir reden über Verletzungen an Körper und Seele; wir reden aber nicht über Straftaten. Das Abklemmen von Gas und Strom ist nämlich zulässig, und die Täter machen dies beruflich.
Und ganz bestimmt gäbe sich, wenn es Herr X nicht machen wollte, der Herr Y für so Etwas her. Und die Frau Z. machte einen Eintrag in die Personalakte von Herrn X. Das ist alles ganz normal in unserer Stadt. Auch in unserem Land, auch wenn dies dort nicht ganz so häufig vorkommt. Und ganz bestimmt schlägt Frau Z. ihre Kinder nicht, und der Herr Y. nicht seine Frau. Und den Herrn X., den gibt es gar nicht; den habe ich einfach nur erfunden.
Herr Y. und Frau Z. machen einfach nur das, was wir alle wissen, und was ich – huch wie sensibel – elegant verdrängt hatte. Nochmal: klar, die Zahl spielt eine Rolle. Und wenn es nicht achttausend, sondern nur achthundert Kinder wären, die diesen Heiligabend nicht nur ohne Geschenke, sondern auch ohne Strom in der kalten Wohnung verbringen? Ja, das wäre schon ein Unterschied. Zumindest, solange man nicht selbst zu den achthundert Familien gehört. Wie gesagt: hier in Duisburg.

Was muss der Bund tun?
Was kann vor Ort passieren?

Der Bundesgesetzgeber, sprich: der Bundestag hat das „Unterbrechen“ der Versorgung mit Strom und / oder Heizenergie zu verbieten, und zwar ausnahmslos allen Anbietern, ausnahmslos. Die Angelegenheit ist juristisch ähnlich vertrackt wie die Sozialtarife. Was geht übers BGB, was übers Sozialrecht? – Über das von mir angeführte Strafrecht wird es wohl kaum gehen, obwohl – noch mal – hier von nichts Anderem als von Körperverletzung die Rede ist. Es ist gut und richtig, dass die Justiz selbstverständlich Strafgefangene nicht tagelang in die Kälte sperren darf. Wieso das der Handwerker Y., die kaufmännische Angestellte Z. und Vorstandsmitglied A. mit unschuldigen Kindern machen dürfen, erschließt sich mir zwar nicht. Aber ich habe Recht auch nur als Nebenfach studiert.
Vor Ort sind die Stadtwerke Duisburg vom Mehrheitsaktionär, nämlich der Stadt, anzuweisen, unverzüglich derart unmenschliche Handlungen zu unterlassen. Ich weiß, dass die Stadtwerke sich im Wettbewerb mit privater Konkurrenz befinden. Aber die Stadtwerke kommen ja an ihr Geld – von der ARGE oder vom Sozialamt. Selbst wenn Verwaltungs- und Prozesskosten einkalkuliert werden, und vielleicht noch einige „Ausfälle“ (die es allerdings schon jetzt gibt): die Menschlichkeit sollte es wert sein. Falls Menschlichkeit „sich nicht rechnen“ sollte, liebe Profis: denkt doch einfach mal an das Firmenimage. „Humanitäre Gründe“, in der heutigen Zeit! Da wird der Konzern Stadtwerke Duisburg die paar Kröten doch locker wegstecken können. Das mehrtägige Stadtwerke-Volksfest mit Fachvorträgen, Kirmes und Staraufgebot war doch auch nicht ganz umsonst.

Menschen Quälen aus Prinzip?

Finanzielle Überlegungen können also kaum den Ausschlag geben für derartiges Vorgehen. Geht es also ums Prinzip? Deutsche Gefühlskälte aus grundsätzlichen Erwägungen? Weil ja sonst der „ehrliche Kunde“ für die Säumigen mitbezahlen müsste?
Hier wäre ein Punkt erreicht, wo ich meine Worte sehr genau wägen müsste. Deshalb nur soviel: selbstverständlich plädiere ich nicht dafür, Leute zu subventionieren, die nicht mit Geld umgehen können. Oben nicht, also auch unten nicht. Im Gegenteil: ich will die in Rede stehenden Menschen aus ihrer prekären Situation heraus wieder an die Gesellschaft herangeführt wissen. Ich will, dass die ihre Rechnungen zahlen. Als ultima ratio reicht da der Geldhahn völlig aus; da braucht es keinen Gashahn und keine Stromleitung. Was derzeit unter dem Stichwort „Selbstverantwortung“ in den Arbeits- und Sozialverwaltungen läuft, ist häufig genug nichts Anderes, als die Leute in der Scheiße sitzen zu lassen.

Also noch mal mein Appell an „die Politik“: sorgt dafür, dass auch im „Prekariat“ die Rechnungen bezahlt werden! Aber verbietet das Abdrehen von Strom und Gas!

Werner Jurga, 19.11.2008

 

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