Ich bin dann mal weg

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Danke! Es reicht. Ich habe genug gesehen. Ich bin dann mal weg. Und zwar richtig, nämlich offline. Früher ist man zu diesem Behufe gepilgert, was heute nur noch – ach, ist ja auch egal …

Früher jedenfalls konnte man zwar weg sein, aber eben nicht offline. Logisch, da ist man eben abgehauen. Nicht einfach so; man musste schon ein bisschen was dazu sagen – allein wegen der Daheimgebliebenen. Da konnte man dann nicht so ohne weiteres vortragen: „Liebe Leute! Ich habe mich satt gesehen an so einigen Gesichtern. Ich kann die nicht mehr sehen. Ich halte das jetzt einfach nicht mehr aus. Ich bin dann mal weg.“
Das hätte gottweiß für einen Ärger gegeben. Und damals war Gott, wie Sie vielleicht wissen, noch ziemlich streng. Der hätte nicht erst groß gefragt: „Na, mein Junge, sag´ mal, welche Fressen kannst Du denn wirklich nicht mehr sehen?“ Der hätte gleich …

Kann man ihm nicht übel nehmen, waren halt andere Zeiten. Und einfach offline gehen, nur mal so zwei Wochen, das war halt technisch einfach noch nicht möglich. Also musste man sich etwas einfallen lassen. „Das ist jetzt wegen dem lieben Gott …“ – ach nee, der war damals ja noch nicht so lieb, und den Genitiv kannte man auch noch. Also sagte man ganz locker: „Das ist jetzt wegen Gottes“ – klingt blöd – „um Gottes Willen“. Jedenfalls hatte man in diese Richtung gehend sein Unbehagen an der Kultur (Freud – später) legitimiert und schon blieb es einem erspart, die ein oder andere Fresse, die einem nun wirklich volle Möhre zum Halse raushing, sehen zu müssen. Jedenfalls für eine Weile, sagen wir: für vierzehn Tage oder so.

Straßenwahlkampf

Seit gut einer Woche haben wir, also hier und jetzt, Wahlkampf. Also, so richtig. Straßenwahlkampf. Den Unterschied zwischen Wahlkampf und Straßenwahlkampf müssen Sie sich etwa so ähnlich vorstellen wie den Unterschied zwischen Karneval und Straßenkarneval. Während im Saalkarneval zum Beispiel eine Büttenrede gehalten wird, heißt es beim Rosenmontagsumzug nur „Helau“ oder „Kamelle“ oder so. So ist das auch im Wahlkampf.
Während auf Wahlkampfveranstaltungen die Politiker das Mikrofon überhaupt nicht mehr aus der Hand geben, um für ihre neuen innovativen Konzepte zu werben (okay: diese Floskel kommt jetzt eher aus dem Wirtschaftsleben), müssen sie auf den Wahlplakaten ihre Botschaft auf einen, höchstens ein paar wenige Begriffe reduzieren.
Logisch: neben die hübsch vom Profi-Fotografen ins Bild gesetzten Politiker-Portraits kann man ja schlecht so einen ganzen Beipackzettel abbilden. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker! – Das geht natürlich nicht. Es bringt auch nichts. Das kann ich ihnen nämlich gleich sagen, wen und was die wählen werden.
Natürlich, die vierfarbigen Hochglanzblätter gibt es an den Infotischen der Parteien und – für die ganz Scheuen – auch noch in den Briefkasten geworfen. Da steht dann auch nicht sonderlich viel drin, aber ganz klar mehr als auf den Wahlplakaten.

Das Wahlplakat: ganz groß der Politikerkopf, darunter der Name, das Parteilogo und ein Werbeslogan, höchstens noch ein Begriff, der ein wichtiges Anliegen symbolisieren soll. Denn der Autofahrer soll das ja im Vorbeifahren alles checken können. Der Autofahrer an und für sich ist nämlich kein Pilger. Aber das nur nebenbei …
Ich zum Beispiel bin an und für sich ebenfalls kein Pilger; ich habe nämlich Last beim Laufen. Also bin ich Autofahrer. Und was ich da seit gut einer Woche alles zu sehen bekomme! Richtig: Wahlplakate.
Erste Faustregel: je kleiner die Partei, desto mehr Wörter auf dem Plakat. Und das absolute Lieblingswort? Nun kommen Sie schon, Sie haben die Plakate doch auch gesehen! Richtig:

Vernunft

Vernunft können Sie in gut vier Wochen wählen, und in acht Wochen bestimmt auch noch einmal. Wenn Sie also vernünftig sind, wählen Sie Vernunft. Klar!
Leider wird die ganze Angelegenheit dadurch unnötig verkompliziert, dass eine ganze Menge Leute versprechen, im Sinne der Vernunft ihre Wählerstimme weiterverwerten zu wollen. Vor allen Dingen Leute, bei den ich mit allem Möglichen gerechnet hätte, nur eben nicht mit Vernunft.
Sie müssen also schon irgendwie herausfinden, ob der Kandidat – auch die Kandidatin, doch, gibt es sogar auch in Duisburg welche – tatsächlich Vernunft garantiert. Am besten, Sie quetschen ihn am Infostand knallhart aus. Ein gutes Beispiel: „Führen Sie eine Vernunftehe?“ Wer hier dann noch vernünftig bleibt, bietet die Gewähr dafür, dass ihm Duisburg ebenso am Herzen liegt wie – sagen wir mal – seine Frau.

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, womit der amtierende Oberbürgermeister wirbt? Ich verrate es Ihnen: die einzige Forderung, die ich auf den großen Plakaten mit Herrn Sauerland gesehen habe, lautet: „Briefwahl“.
Okay, dagegen ist nichts zu sagen. Schließlich muss man, auch wenn man mal weg ist, sein demokratisches Recht auf …, also sein Wahlrecht haben. Aber wieso fordert das der OB? Ist der am 30. August gar nicht da? Interessiert den das alles schon gar nicht mehr? Oder spielt da der MSV?
Geht uns nichts an. Muss er wissen. Er ist für Briefwahl. Alles in Ordnung. Ist ja auch vernünftig.

Mir wird das alles zuviel. Ich hatte gedacht, vier Wochen vor der Kommunalwahl tobt der Wahlkampf. Und was ist? Straßenwahlkampf. Mit Vernunft und Briefwahl. Was soll ich denn da schreiben? Ich kann Ihnen doch nicht noch einmal so eine ... Kolumne zumuten wie diese hier.
Ich hau jetzt ab. Nicht pilgern - wie gesagt: Last beim Laufen.
Ich bin dann einfach so mal weg. Und zwar richtig, nämlich offline. Ich habe genug gesehen. Es reicht. Für vierzehn Tage. Und dann haben wir noch vierzehn Tage für knallharte Polit-Themen: Vordergründe, Hintergründe, Gründe. Zu spannenden Themen wie z.B. … Briefwahl.

Werner Jurga, 30.07.2009

 

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