Obama und ich

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

„JAAAH! Genau wie ich“, schoss es aus mir heraus. Obama war im Fernsehen, und ich hing im Wohnzimmer auf der Couch herum, was freilich schon als gewisser Hinweis dafür gewertet werden könnte, dass wir beide nicht ganz „genau“ gleich sind. Aber was meine Frau meinte, zu meinem Ausruf bemerken zu müssen …, erspare ich Ihnen. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie mir diese Despektierlichkeit in eindeutig verletzender Absicht entgegen gehalten hat. Aber ich bin ja schlagfertig, genau wie … - jedenfalls konterte ich: „Moment mal, der Spruch ist doch nicht von mir, sondern von Lech Walesa.“ – „Wie“, fragte sie in der ihr eigenen Unbedarftheit, „ist der auch genau wie Obama?“ „Nee, der fand“, konnte ich sie aufklären, „er sei genau wie Reagan.“

Unterschiede

Okay, ich räume ein, mein Verhalten war natürlich einer gewissen Euphorie geschuldet. Kein Mensch ist nämlich ganz genau wie ein anderer. Manche Dinge verhalten sich sogar bei Mr. Obama genau umgekehrt wie bei mir. So halten ihn die Leute bspw. für den Messias; er sich selbst aber nicht. Mich dagegen hält keine Sau für einen Messias. Weitere Unterschiede sind evident. Offensichtlich die Hautfarbe, aber auch die Nationalität. Ich bin nun mal kein Ami. Außerdem: mein Name ist zwar russisch; aber ich bitte Sie, möchten Sie  Barack Hussein Obama heißen?
Als ich diesen das erste Mal im Fernsehen gehört hatte, dachte ich sogleich ganz vorurteilsfrei: „Junge, ich kenne Dich nicht; ich weiß nicht, wofür Du politisch stehst. Aber was hast Du bloß für einen Namen?! Mit Deiner Hautfarbe ist es doch ohnehin schon so eine Sache; aber dann noch ein Name, bei dem auch Gutwilligen unwillkürlich dieser arabische Massenmörder in den Sinn kommt. Nee, Junge, lass mal!“
Dass er jetzt dennoch ins Weiße Haus geschafft hat, kann ich mir nur so erklären, dass unsere Parallelen die Unterschiede deutlich überkompensieren. Yes, we can! Zum Beispiel beide nicht übers Wasser gehen. Er und ich, beide vaterlos bei Großeltern aufgewachsen. Und, um an dieser Stelle schon einmal das Wichtigste anzuführen: wir sind beide bekennende Raucher.

Gemeinsamkeiten

Am Rande darf ich hinzufügen, dass Barack und ich der gleichen Generation angehören, also – wie ich aus den Medien vernehme – jung sind. Ich gebe zu, vier Jahre mehr als er auf dem Buckel zu haben. Aber da er häufig genug als „zu” jung gilt, müsste das Alter bei mir eigentlich genau stimmen. Und wir zwei jungen Männer sind, was ihm im Wahlkampf fast noch härter ins Kontor geschlagen hat als seine (nicht meine) bereits erwähnten Handicaps, Intellektuelle. Jedenfalls wird ihm dies von Freund und Feind attestiert, und ich kann darauf verweisen, dieselben Studienfächer wie er belegt zu haben.
Ja, man wird doch wohl auch mal scherzen dürfen! Ich kann doch nichts dafür, dass die Gesamthochschule Duisburg rein imagemäßig gesehen damals noch nicht ganz an Harvard rankam. Immerhin trug mein Prof ein Harvard Sweat-Shirt. Und promovieren konnte ich später an der Mercator-Universität. Inzwischen ist „mein“ Fachbereich eine Fakultät an der UDE und die NRW School of Governance gehört dazu. Wenn ich das noch hätte erleben dürfen! Dann wäre ich bestimmt straight on …

Standpunkte

So habe ich eine Weile als Sozialarbeiter „ganz unten“ gearbeitet. Wie Obama, übrigens. Bei ihm hat dann das politische Interesse überwogen. Da kann ich mithalten!
Er ist ein guter Writer; ich könnte immerhin eine Handvoll Zeugen benennen. Obwohl in einer anderen sozialen Schicht angekommen, hat Obama sein Herkommen nicht vergessen.
Er und ich sind Sozialdemokraten. Wenn es nicht so regressiv klänge: linke Sozialdemokraten. Die Negierung des – wie es genannt wird – „neoliberalen“, oder – wie ich es nenne – marktradikalen – Paradigmas muss ja nun nicht bedeuten, die Realität der Globalisierung zu leugnen, muss ja keine Rezepte aus den 1970er Jahren nahe legen. Man kann sich auf Roosevelts New Deal beziehen und dennoch in Rechnung stellen, dass selbst ein riesiger Binnenmarkt wie der amerikanische nur in internationaler Kooperation zu stimulieren ist. Obama ist ein moderner Linkskeynesianer, so verstanden: ein moderner Linker.

Links Sein bedeutet in der internationalen Politik, dass die Sicherheit Israels Richtschnur allen Denkens und Handelns ist. Und dass der Krieg gegen Al Qaida intelligent und im fairen Bündnis mit Allen zu führen ist, und (aber doch?) unter allen Umständen gewonnen werden muss. Denn sonst würde sich jede Debatte darüber, was heute Links Sein bedeutet, schleichend von selbst erledigen.

Change

Als seine akute Hauptaufgabe hat Obama zurecht die Bekämpfung der globalen Rezession benannt. Und zwar mit, ob es nun als modern gilt oder nicht, ob es die deutsche Bundesregierung freut oder nicht, auch gigantischen, weltweit koordinierten Konjunkturprogrammen. Die Frage wird sein, wie stark Genosse Obama mit der Wall Street, die seinen Wahlkampf in nicht unerheblichem Maße mitfinanziert hat, ins Gericht gehen muss. Fest steht, die internationalen Finanzmärkte müssen dringend deutlich stärker reguliert werden als heute. Deshalb ist es keine Frage, dass Barack Obama dafür sorgen wird.
Mittelfristig ist seine wichtigste Aufgabe die Reform des Gesundheitswesens. Die Krankenversicherung wird er auf eine Steuerfinanzierung umstellen müssen. Vor dieser Herausforderung steht auch Deutschland. Darauf hinzuweisen, dass die Deutschen hier wesentlich besser dastehen als die Amerikaner, wäre zwar zutreffend – allerdings auch ein Marginalisieren der absehbaren Probleme, die absehbar auf uns zukommen.
In den USA haben sich die Clintons daran verhoben; in Deutschland ist kein substanzielles Vorankommen erkennbar. Man muss aber daran nicht scheitern; man darf daran nicht scheitern. Die Aufgabe ist „mittelfristig“; nur: Erledigen muss man sie schon. Wenn man den zivilisatorischen Kern, und damit die Zustimmung der Bevölkerung zu der westlichen Demokratie nicht aufs Spiel setzen will.

 

Zum Schluss kommt mir noch ein – allerdings entscheidender – Unterschied in den Sinn: Barack Obama ist Politiker, ich nicht. Aus diversen Gründen fehlt mir das Zeug dazu. Was ich jedoch nicht bedauere. Mir wäre der „Preis“ hierfür einfach zu hoch. Spitzenpolitiker? – Nein Danke! Und dann noch US-Präsident. Abgesehen davon, dass ich ja gar nicht dürfte, ich möchte einfach nicht den Rest meines Lebens staunen, dass ich noch lebe, dass Herren mit durchgeladenen Maschinengewehren im Heck meines Kombi mitfahren, und dass ihre Kollegen meine Tochter zur Schule bringen.

Werner Jurga, 10.11.2008

 

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