Doch diese Hoffnung machte schon 20 Jahre später der Beginn des Zweiten Weltkriegs zunichte. Nicht über zehn Millionen Opfer wie im Ersten Weltkrieg - über 50 Millionen Menschen auf vier Kontinenten ließen ihr Leben! Was für ein ungeheures Leid hat dieser Krieg gebracht!
Seit 1952 ist der Volkstrauertag nun in unserer jungen Demokratie eine fest verwurzelte Institution in der grauen Zeit zwischen Herbst und Winter, immer am zweiten Sonntag vor dem ersten Advent. Ein jüdisches Sprichwort sagt: „Menschen, die man vergisst, sterben ein zweites Mal.“ Wir wollen nicht vergessen, darum sind wir heute hier. Wir stellen dem Vergessen die Erinnerung entgegen, ein bewusstes Erinnern, das nicht nur den Toten ein ehrendes Denkmal setzt, sondern auch ein Versprechen hält. Das Versprechen, dass solches Leid unseren Kindern und Enkeln nicht widerfahren soll.
Die Trauer macht uns bewusst, dass Krieg und Terror nur Angst, Schrecken und Leid zur Folge haben. Das Gedenken an die Kriegsopfer mahnt uns, aus der Vergangenheit Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen und danach zu handeln. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte: „Wer seine Geschichte nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“ Wir sind verpflichtet, uns mit der Geschichte auseinander zu setzen. Aber lernen wir auch daraus?
Täglich erreichen uns Nachrichten über Krieg, Flücht-lingsdramen und Terroranschläge, sei es im Irak, in Afrika, Israel, Pakistan, im Kosovo, in Afghanistan oder wie im Sommer sogar auf Mallorca. „Bombenterror im Urlaubsparadies“ titelten die Medien... Täglich hören wir von Krisengebieten, in denen die Freiheit durch Diktaturen oder den internationalen Terrorismus bedroht ist. Gewalt und Terror sind allgegenwärtig. Deshalb dürfen wir hier in Deutschland nicht wegschauen, als ginge uns das alles nichts an! Das tun wir auch nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren. Denn wir haben aus unserer Geschichte die Lehre gezogen, Verantwortung zu übernehmen.
Der heutige Volkstrauertag mahnt uns auch, für die Werte der Demokratie einzutreten, den Kurs Richtung Freiheit, Frieden, Sicherheit und Völkerverständigung weiterhin einzuhalten. Für diese Werte müssen wir uns einsetzen und streiten, denn sie sind nicht selbstverständlich! Das heißt für uns auch, dabei zu helfen, Blutvergießen zu beenden und Not zu lindern. Das heißt für uns, Versöhnungsprozesse voranzutreiben. Das heißt, Menschen vor Gewalt und Terror zu schützen.
Von 1992 bis September 2009 haben 81 Soldaten der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen ihr Leben verloren. Noch viel höher ist die Zahl der Verletzten und Verwundeten. Am 4. September 2009 wurden in Afghanistan bei einem Luftangriff im Befehlsbereich der Bundeswehr über 50 Menschen getötet... Dies alles erschüttert und entsetzt uns! Und solch schreckliche Ereignisse machen deutlich, wie gefährlich das Ringen um Demokratie und Freiheit ist.
Meine Damen und Herren,
leider ist der Volkstrauertag immer noch ein Tag, an dem wir nicht weit zurückblicken müssen, um seinen Sinn zu erkennen. Es ist ein Tag, der seine schmerzliche Aktualität bis heute nicht verloren hat. Verneigen wir uns an diesem Tag in Trauer vor allen Kriegsopfern! Bleiben wir ihnen verbunden - im Bewusstsein unserer dauerhaften Verpflichtung für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit einzutreten!
Vielen Dank!
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