Politische Gesäßgeographie

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Irgendwann ein- oder zweimal im Jahr
ist einem so manches nicht mehr ganz klar.
(Degenhardt)

Zum Beispiel in Sachen Politik:
da brachte die WAZ gestern auf Seite 1 die dpa-Meldung, deutsche Politiker hielten „ein militärisches Eingreifen in Birma für nötig“, falls ... – und natürlich nur: „notfalls“.
Sie kennen den Anlass: eine furchtbarer Zyklon hat in Birma (bzw. Burma oder Myanmar, wie die Junta jetzt das Land nennt) nicht nur bei der ersten Überschwemmung etwa hunderttausend Menschen sofort das Leben gekostet. Weiter sind auch Millionen Menschen in dem überfluteten Gebiet durch Seuchen, Trinkwasser- und Nahrungsmangel existenziell bedroht. Das Militärregime weigert sich jedoch standhaft, ausländische Helfer ins Land zu lassen, weil es darin eine Gefahr für seine Herrschaft sieht. Die Militärs selbst sind keineswegs in der Lage, die nötige Katastrophenhilfe auch nur halbwegs logistisch zu stemmen.
Das Grauen hat eine solche Dimension, dass es schon mit der Tsunami-Katastrophe vor zweieinhalb Jahren verglichen wird. Nahrung und Medikamente müssen – notfalls aus der Luft – verteilt, Trinkwasser herangeschafft, zigtausende Menschen evakuiert werden. Das Kalkül der Militärs scheint klar: besser ein paar Hunderttausend Leute verlieren ihr Leben als wir unsere Macht – samt Privilegien und Luxus, versteht sich.
Inzwischen hat die Militärclique eine Handvoll ausländischer Helfer ins Land gelassen; doch scheint dies mehr eine Maßnahme zur Reduktion des internationalen Drucks zu sein, als der Auftakt zu einer echten Hilfeleistung. Als der US-Präsident erwogen hatte, er werde notfalls auch ohne Genehmigung der birmesischen Junta Hilfsgüter abwerfen lassen, erklärte diese, in einem solchen Fall die Hubschrauber abzuschießen.

Neue Unübersichtlichkeit

So weit, so klar. So böse, so banal.
Unklar wurde die Situation für mich, als die deutsche Ministerin für Entwicklungshilfe sich dem – ansonsten von ihr keineswegs geschätzten – US-Präsidenten anschloss – mit der Forderung, die humanitäre Hilfe mit militärischer Gewalt gegen das dortige Regime durchzusetzen. Die „Neue Unübersichtlichkeit“ (Habermas) ist seit gestern für mich komplett, als ich gelesen habe, deutsche Politiker hielten „ein militärisches Eingreifen in Birma für nötig“.
Nun gut, habe ich mir gedacht, dass CDU-Politiker dem US-Präsidenten das Wort reden, soll vorkommen. Und wenn schon die „rote Heidi“ dafür ist, und wir eine große Koalition haben, werden auch einige SPD-Leute dafür plädieren. Wobei dem SPD-Außenexperten durchaus klar ist, dass dies „völkerrechtlich umstritten“ wäre.
Auch bis hierher komme ich noch so eben mit. Aber jetzt wird es schwierig: erstens haben sich meines Wissens keine CDU-Leute in diesem Sinne vernehmen lassen, und zweitens – und dies macht mich ja so nachdenklich – halten einige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei ein militärisches Eingreifen in Birma für nötig – „notfalls“, versteht sich.
Krieg oder Frieden, links oder rechts – hier scheint mir notfalls ein politisches Umdenken nötig zu sein.

Politische Gesäßgeographie

Es ist nämlich so, dass die führenden Repräsentanten der Unionsparteien und der Linkspartei durchaus die Auffassung ihrer Anhängerschaft wiedergeben – eben: repräsentieren.
In der neuen Ausgabe des „Spiegel“ vom 10.05.2008 findet sich auf Seite 62 ein aufschlussreiches Umfrageergebnis. In einer „Spiegel“-Umfrage, die das TNS-Forschungsinstitut am 28. und 29. April durchführte, also kurz vor der Katastrophe in Birma, wurde die Frage gestellt:

„Sollte es Ziel der deutschen Politik sein, in möglichst vielen Ländern auf
der Welt die Demokratie nach westlichem Vorbild durchzusetzen ?“

So der Wortlaut der Frage, also: „Demokratie“. Gut: „Demokratie nach westlichem Vorbild“ – da könnten auch die Menschenrechte mit gemeint sein, für die sich die deutsche Politik nach Artikel 1, Absatz 2 des Grundgesetzes weltweit einsetzen muss. Und in Birma geht es in diesen Tagen um noch mehr: ums nackte Überleben!
Aber zurück zur „Spiegel“-Frage, im Wortlaut soeben zitiert. Die Antworten: fifty-fifty. 48 Prozent befürworten einen deutschen Einsatz („durchsetzen“) für die Demokratie - ein Punkt mehr als die Gegner. Und jetzt wird es interessant, die Antwort nach Parteipräferenz. Die Anhänger von SPD, FDP und Grünen liegen ziemlich genau im Schnitt. Bei der SPD sind es etwas mehr, bei der FDP doch schon einige weniger, bei den Grünen entspricht es genau dem Durchschnitt. Das mögen alles statistische Ungenauigkeiten sein.
Anders liegt der Fall bei den Wählern der Linken und der CDU. Nach der Lektüre dieses Textes dürfte es für Sie keine Überraschung mehr sein, aber vielleicht sind Sie genauso irritiert wie ich. Auf die im Wortlaut zitierte Frage haben geantwortet mit

„Ja“
37 % der Anhänger von CDU / CSU
69 % der Anhänger der Linkspartei

Ja, so ist das.

Werner Jurga,15.05.2008

P.S.: erst nach Fertigstellen dieses Textes bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch Malte Lehming, Chefkommentator des “Tagesspiegel” sich mit dem Thema “die deutsche Linke und der Krieg” befasst hat: “Willkommen im Club”.

 

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