Stephan J. Kramer

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Dienstag, 16. Juni 2009, der seit Tagen tobende Machtkampf im Iran erreicht seinen (vorläufigen ?) Höhepunkt. Die Welt blickt auf Teheran.
Ebenfalls seit Tagen hat auch der Zentralrat der Juden in Deutschland nichts von sich hören lassen. Doch jetzt, wo Ahmadinedschad sichtbar ein wenig ins Taumeln gerät, ist der Moment gekommen, um sich an die Öffentlichkeit zu wenden …
… und US-Präsident Obama zu kritisieren.

Stopp! Aufgepasst. Ehe man mit solch einer Polemik konfrontiert wird, jagt man schnell noch eine Pressemitteilung der Präsidentin raus. Charlotte Knobloch fordert:

„Regime in Teheran in Schranken weisen!“

Am Dienstag, den 16. Juni 2009. Noch einmal gut gegangen; da kann keiner etwas sagen. Die Presseerklärung macht einen etwas uninspirierten Eindruck. Frau Knobloch ruft die internationale Staatengemeinschaft und (?) die Vereinten Nationen auf, die Opposition im Iran zu stärken (?) – egal, was soll´s?! Das Ding ist im Kasten und raus an die Redaktionen. Und auf der eigenen Homepage stellt man diese Erklärung so rein, dass der Eindruck nahegelegt wird, als sei sie zeitlich vor dem Text entstanden, auf den es dem Zentralrat eigentlich anzukommen scheint. Ahmadinedschad – okay, so weit abgehakt. Man komme zu dem, was wirklich wichtig ist, nämlich

Obamas emotionale Schieflage

Als Verfasser dieses Textes ist Stephan J. Kramer angegeben, und es kann keinen Zweifel daran geben, dass er tatsächlich diesen Beitrag geschrieben hat. Kramer ist Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der Beitrag ist gestern erschienen, und zwar im Tagesspiegel, bekanntlich einer der wichtigsten deutschen Tageszeitungen. Natürlich auch in der Printausgabe, was ebenfalls dafür spricht, dass der Text nicht erst gestern fertig gestellt wurde. Selbstverständlich ist er, wie bereits erwähnt, ebenfalls auf der Webseite des Zentralrats der Juden erschienen.
Es darf dennoch als unwahrscheinlich gelten, dass Barack Obama ihn gelesen hat. Wie schön für ihn! Denn wer lässt sich schon gern nachsagen, sich in einer emotionalen Schieflage zu befinden? Dass der Autor implizit davon ausgeht, emotional richtig zu liegen, versteht sich. Und wo und wie sollte der Generalsekretär einer Glaubensgemeinschaft auch sonst liegen? Emotional.
Mich jedenfalls hat allein diese Überschrift emotional recht negativ berührt. Wie kann denn nur ein Mensch einem anderen vorwerfen, emotional falsch zu liegen?! An und für sich unglaublich, wüssten wir nicht, dass hier die Rede von Stephan J. Kramer ist. Zwar lässt sich vernünftigerweise nicht beurteilen, ob er emotional richtig liegt. Dagegen gibt es hinreichend Belege dafür, dass Kramer politisch-inhaltlich sowie taktisch-strategisch ab und an mal falsch liegt.

Bleiben wir beim aktuellen Text! Womit begründet er Obamas emotionale Schieflage? – Mit einer einzigen Formulierung, nämlich:
So bezeichnete der Präsident etwa die Israelis und die Palästinenser als „zwei Völker mit legitimen Bestrebungen, ein jedes mit einer schmerzvollen Geschichte". Die darin zum Ausdruck kommende Gleichstellung des jüdischen Schicksals einschließlich des Holocausts mit der Situation der Palästinenser zeugt von einer emotionalen Schieflage.

Meinetwegen. Man kann diese Passage der Kairoer Rede so interpretieren; man muss es aber nicht. Kramer macht es ganz bewusst – und nicht als Privatmann, sondern als Sprecher der Juden in Deutschland. Und zwar in der Absicht, nicht nur die deutschen Juden, sondern alle, die etwas auf deren Wort geben, in eine emotionale Schieflage zum US-Präsidenten zu bringen. Und er lässt keinen Zweifel daran, warum er so verfährt.
Kramer missbilligt, dass Obama Druck auf Israel, genauer: auf die Regierung Netanjahu / Lieberman ausübt, in seinen Worten: ganz bewusst in die Enge treibt. Richtig: die Obama-Administration nimmt sich der Vermittlerrolle der USA im Nahost-Konflikt ab dem ersten Tag ganz bewusst an. Ohne US-Vermittlung wird kein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zustande kommen, und ohne Druck auf beide Konfliktparteien kommt kein Vermittler aus. Das weiß jeder, auch Kramer.

Dennoch gibt die neue amerikanische Politik Grund zur Sorge, schreibt Kramer – dennoch. Woraus immerhin zu schlussfolgern ist, dass bislang Israel sorgenfrei oder zumindest mit weniger Sorgen gefahren ist, nämlich mit der alten amerikanischen Politik. Sie meinten, ich interpretierte ähnlich bösartig wie Kramer? -
Ach was! Glauben Sie mir doch:
George W. Bush hatte zwar nicht alle israelischen Siedlungen für unbedenklich erklärt, Israel aber zugestanden, die wichtigsten Siedlungsblocks im Westjordanland behalten zu können.
George W. Bush hatte jedoch, was Kramer unter den Tisch fallen lässt, sich allenfalls im letzten Jahr seiner achtjährigen Amtszeit um den Nahost-Konflikt gekümmert – zum Beispiel dadurch, dass er Olmert und Abbas in Annapolis mit auf den Weg gab, sie sollten doch bitte maximal binnen eines Jahres einen kompletten Friedensvertrag mit allem Drum und Dran unterzeichnen.
Dass sich während Bushs Amtszeit Israels Sicherheitslage deutlich verschlechtert hatte, sollte Kramer eigentlich bekannt sein. Dass der War On Terror dem Aufstieg des iranischen Mullah-Regimes förmlich in die Hände gespielt hat, darf als unstreitig gelten.

Dass die mehreren Hunderttausend Juden in und am Rande Ostjerusalems eine Sollbruchstelle für jegliche Friedensgespräche darstellen – wie überhaupt die „Jerusalem-Frage“ – ist weithin bekannt. Dass Obama dies in seiner Grundsatzrede thematisiert hat, ist selbstverständlich. Die Interpretation der Kairoer Rede in Kramers Text ist es nicht. Sie ist fragwürdig und in sich widersprüchlich. Richtig ist, Obama hat alle jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten für „illegitim“ erklärt, und richtig ist weiter – wie von Kramer selbst hervorgehoben -, dass die Bedeutung des Begriffs dehnbar ist.

 Kramers emotionale Schieflage

Ganz anders als Obama kommt Netanjahu bei Kramer weg: ein Staatsmann, der sein Land besonnen zwischen Scylla und Charybdis leitet und deshalb zwar einerseits bei der Zweistaatenlösung den USA entgegenkommt, andererseits aber in der Siedlungspolitik hart bleibt. So sieht Kramer das; so schreibt er das.
Die Politik von Netanjahu und Lieberman sei besser als die von Livni und Barak, die von Obama schlechter als die von Bush. Und so mag er es auch sehen. Und, wer weiß, vielleicht ist auch im Zentralrat der Juden – ähnlich wie in den Parteien – der Generalsekretär für das markige Wort zuständig. Für die grobe Zuspitzung und den persönlichen Angriff. Ich weiß es nicht. Schwer vorstellbar ist allerdings, dass Pofalla oder Heil eine emotionale Schieflage anführen würden.
Auf jeden Fall ist aber ein Generalsekretär dafür zuständig, den eigenen Laden zusammen zu halten, feiner ausgedrückt: integrativ nach innen zu wirken. Also etwas zu sagen, das Identität stiftet, das – wenn schon nicht alle, so doch – alle Strömungen für richtig halten. Deshalb auch die Angriffe nach außen.

Dass die überwältigende Mehrheit der Juden in Deutschland gegen Obama, aber für Netanjahu eingestellt wäre, ist auszuschließen. Insofern ist Kramers Text – als Dokument des Zentralrats – kontraproduktiv, im Grunde unzulässig. Kramer ist bekanntlich ein Heißsporn, der mitunter in eine emotionale Schieflage gerät. Das kann schon mal passieren. Sollte es öfter passieren, sollte er besser abtreten.

Werner Jurga, 17.06.2009

 

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