Das Schicksal, die Liebe und die Moral

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Wie es das Schicksal so will – mal so, mal so. Mit mir zum Beispiel eher so, was in meinem Fall heißt: eher nicht so gut. Das finde ich gemein,

das Schicksal

Mit der Welt, auch mal nur so als Beispiel, meint es das Schicksal nämlich gut. In diesen Tagen sogar verdammt gut. Vorgestern zum Beispiel: die Führer dieser Welt vereinbaren, für eine Welt ohne Atomwaffen zu sorgen. Ist doch gut; da kann die Welt aber nicht meckern!
Oder gestern: die Herren, stark angetrieben von einer Dame, gehen hin und machen klar, dass so etwas wie die Finanzkrise nicht noch einmal passiert. Niemals nie! Nebenbei leiten sie noch den Klimawandel ein. Entschuldigung, das Gegenteil natürlich. Na, Sie wissen schon. Wie soll ich sagen: sie sorgen dafür, dass es nicht noch wärmer wird. Das ist auch wichtig!
Fassen wir zusammen: das Schicksal meint es gut mit der Welt. Das ändert nun aber zunächst einmal überhaupt nichts daran, dass morgen hier bei uns eine Schicksalswahl ansteht. Eine Ebene tiefer, wenn Sie so wollen.

An dem, was die Herrscher dieser Welt angeordnet haben, können Sie jetzt nichts mehr ändern. Natürlich nicht. Carla Bruni kann nicht mehr kommen und sagen: „Ein paar Atomwaffen hätte ich aber schon noch ganz gern.“ Ist nicht, kann sie sich abschminken. Egal, in Frankreich wird ja ohnehin nicht gewählt. Sondern in Deutschland, und wir konnten ja sowieso nichts für die Finanzkrise. Das waren ja …, ich sag´ nix. Und wenn Sie es gern doch noch ein bisschen wärmer hätten, was weiß ich: drehen Sie Ihre Heizung auf oder gehen Sie in die Sauna! Das mit der globalen Erwärmung läuft jetzt jedenfalls nicht mehr. Das können Sie sich abschminken, ist beschlossene Sache, kommt von ganz oben, machen Sie nichts dran! Verstanden?!
Sie gehen mir aber morgen trotzdem schön zur Wahl. Schicksal. Es ist nämlich eine Schicksalswahl. Und nun jammern Sie mal nicht!

Überlegen Sie lieber mal, wie es um mein Schicksal bestellt ist! Ich soll nämlich einen Text schreiben, und zwar für eine Internet-Seite. Um ganz genau zu sein: für eine politische. Das müssen Sie zugeben: das ist nun wirklich Schicksal.
Weltfrieden, Weltwirtschaft, Weltklima und deutsches Schicksal – was soll ich da noch schreiben? Oder anders ausgedrückt, zumal im Gegenteil: das ist genau genommen eine ganze Menge. Wie auch immer: manchmal reicht es mir einfach mit der Politik. Viel wichtiger ist doch – ganz bestimmt -  

die Liebe

Eine gelungene Überleitung zur Bundestagswahl – finden Sie nicht auch? Klar, denn es war ja kein Wahlkampf, was wir da in den letzten Wochen gesehen und gehört hatten, eher schon Wahlliebe.
Eigentlich ganz gut so, schließlich sind wir ja nicht nur die Politik ziemlich leid, sondern vor allem dieses ganze Parteienhickhack in der Politik. Es könnte doch alles so schön sein! Kann es denn nicht in der deutschen Politik auch so viel Liebe geben wie in der Weltpolitik (siehe oben)? Kann der Wahlkampf nicht immer so liebevoll über die Bühne gehen wie dieses Mal? Wie gesagt: Wahlliebe. 

Ich gebe zu: Wahlliebe, das klingt ein wenig unanständig. Aber wieso eigentlich? Abgesehen davon, dass wir die beiden Protagonisten dieser Wahlliebe kennen: es wird hierzulande seit gut hundert Jahren immer mehr zum Brauch, dass jede und jeder frei wählen kann, welche Person sie oder er nun gerade meint, lieben zu müssen. Wir leben ja schließlich nicht in Afghanistan, nur mal so als Beispiel. Kann also Wahlliebe Sünde sein? Oder allgemeiner gefragt: Kann denn Liebe Sünde sein?

Die große Zarah Leander trug dieses wunderschöne Lied in dem nicht minder wunderschönen UFA-Film Der Blaufuchs vor, in dem neben der unvergessenen Sängerin Willy Birgel, Paul Hörbiger und Rudolf Platte die Hauptrollen spielten. Was waren das noch Zeiten!
Das Schicksal meinte es gut mit Deutschland. Kein Wahlkampf, kein Parteiengezänk und all so was. Die Welt war noch in Ordnung; man schrieb das Jahr 1938. Und der Kanzler fand sie auch nicht so wichtig,

die Moral

Aber wir wollen uns nicht um die hier zur Debatte stehende Frage herumdrücken. Kann denn Liebe Sünde sein? Das Lied beginnt folgendermaßen:

Jeder kleine Spießer macht das Leben mir zur Qual,
denn er spricht nur immer von Moral.

Es würde den Rahmen dieser kleinen Kolumne sprengen, begäbe ich mich an eine soziologische Analyse des „kleine Spießers“, der offenbar moralische Einwände gegen die Liebe – hier verstanden als Wahlliebe - vorzutragen weiß, die im weiteren Verlauf des Liedtextes mit der kategorischen Feststellung zurückgewiesen werden:
Liebe kann nicht Sünde sein.

Auch wenn mir in Situationen, in denen ich davon Wind bekommen hatte, dass meine Angebetene es vorzog, mit einem anderen zu schlafen, mitunter Zweifel am absoluten Wahrheitsanspruch dieser Aussage gekommen waren, würde ich so im allgemeinen, mit ein wenig emotionaler Distanz, mich im Grunde genommen dieser These vollinhaltlich anschließen.
Zumal: Spießer und die Moral. Sprich: Spießermoral. Da kann ich überhaupt nicht drauf. Meine ganze Sozialisation steht dem entgegen. Make love not war. Poppen, nicht kloppen. Petting statt Pershing. So soll es sein, so wird es sein. 

Auch eine Moral. Schließlich: so ganz verzichten kann man auf die Moral ja auch nicht. Wo kämen wir da hin!
Wir brauchen wieder Werte. Zum Beispiel vor zwei Wochen in Sölln, dieser Münchener S-Bahnhof. Zwei total verrohte junge Männer schlagen und treten einen Mann tot, der von ihnen bedrohte Kinder schützen will, und keiner schreitet ein. Das sieht nach Feigheit aus, nicht etwa nach Pazifismus. Denn der Pazifist steht zu seiner Entscheidung, vor, in und nach der Situation. So gesehen ist Pazifismus unmoralisch. Immer.
Nun ist Krieg aber auch unmoralisch. Fast immer. Das mit der Moral ist doch komplizierter als ich dachte. Da hätte ich doch besser etwas zur Bundestagswahl geschrieben. Jetzt ist es aber dafür auch zu spät.
Schicksal.

Werner Jurga, 26.09.2009

 

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