Dreßler und Gysi

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Sie reden miteinander und deshalb verreisen sie zusammen. Und weil sie auch dafür sind, dass andere miteinander reden, reisen sie in den Nahen Osten.
Die WAZ erklärt, warum Gregor Gysi und Rudolf Dreßler gemeinsam reisen:
Sie wollen reden – mit Israelis und Palästinensern, Ägyptern und Syrern.
Und gleichzeitig wollen die beiden auch zeigen, dass aus ihrer Sicht rot-rote Berührungsängste fehl am Platz seien.

Rot, roter, naher ... Osten

Der Zusammenhang beider Beratungsbedarfe, wie es auf Neudeutsch heißt, mag sich einem nicht sofort erschließen. Dennoch wird munter kommentiert, auf der Seite von derWesten – mit dem Blognamen, also anonym.

Ein „Kölner“ gibt zu bedenken:
Am Nahost-Konflikt haben sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen, z.B. der ehem. US-Präsident Bill Clinton.
Das ist wohl wahr. Und ehe Sie jetzt ankommen und sagen: Na und! Hier geht es um jede Frau, jeden Mann und jeden Groschen. Lieber eine Reise zuviel, als das Unglück seinen Lauf nehmen lassen. Ehe Sie also damit ankommen, klärt der „Kölner“ auf, dass dieses Mal Politiker aus rein egoistischen Motiven die Reise nach Jerusalem und anderswohin antreten:
Die Herren Gysi und Dreßler wollen sich nur wichtig tun, aber erreichen werden auch sie nichts. Alles wohl eine Wichtigtuerei dieser beiden Herren.
Aha! Fragt man sich, was der „Kölner“ wohl zum Thema „Rot-Rot“ denken mag. Wir wissen es nicht; ein Fan scheint er jedenfalls nicht zu sein.

Freiheit oder Sozialismus

Ein anderer Leser bzw. Kommentator bevorzugt ganz klar die Freiheit vor dem Sozialismus. So ist er zum Beispiel so frei und gibt sich selbst den Namen „Piepmatz“. Und trällert los:
rot - stasirot. Da wächst zusammen was zusammen gehört. Die NeoSED
Dagegen spricht der WAZ-Redakteur Wilhelm Klümper von einem Normalfall Rot-Rot.
Ach, wieso „dagegen“? – Auch der „Piepmatz“ dürfte gewiss von einem stasiroten Normalfall ausgehen. Nur eben wesentlich besorgter als der professionelle WAZ-Schreiber. Ein nützlicher Idiot oder schon bezahlter Stasi-Agent?

Die „rot-rote“ Seite der Dreßler-Gysi-Tour ist dabei wirklich alles andere als eine Überraschung. Denn die Linkspartei kann ja Bedingungen stellen soviel sie will: letztlich bleibt ihr ohnehin nur ein Bündnis mit der SPD, will sie nicht als Fundamentalopposition über die Jahre wieder von der politischen Bühne verschwinden.
Und Dreßler macht ja seit einiger Zeit aus seiner Vorliebe kein Geheimnis. Die SPD sei „verkommen“, erklärt er schon mal und schwenkt den Aufnahmeantrag für Die Linke in die Fernsehkamera. Bemerkenswert an dem zitierten WAZ-Artikel ist da schon eher, dass er jetzt deutlich macht, in der SPD bleiben zu wollen – in der Hoffnung, demnächst in der Mehrheit zu sein.
Und womit? – Mit der sozialpolitischen „Linie“ der SPD während der Kohl-Ära, für die Rudolf Dreßler weiland verantwortlich zeichnete. Nächtelang hat er mit seinem Widerpart von der CDU verhandelt, dem Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm. Auch der meint heute noch, die Rente sei eigentlich sicher, wenn Rot-Grün nicht … ach ja …
Dreßler sprach freilich für die Opposition, stand also links von Blüm und forderte deshalb stets einen halben Prozentpunkt mehr, als Blüm zu verteilen bereit war. Jahrelang, nächtelang; mein Gott – wie links! Das waren noch Zeiten, die sich, wie wir heute lesen, 60 Sozialdemokraten sehnlichst zurück wünschen. SPD-Linke fordert Kurswechsel, heißt es. Allerdings achten die offiziellen Sprecher der Partei- und Fraktionslinken („Parlamentarische Linke“) schon darauf, damit nicht in Verbindung gebracht zu werden. Nicht dass es noch heißt, der Richtungsstreit in der SPD wird schärfer. All dies ist zwar unerfreulich, jedoch wenig bemerkenswert, weil überraschungsarm … und zu Kurt Beck sage ich ja einstweilen nichts mehr.

Antizionismus oder jüdischer Bolschewismus

Interessant an der Dreßler-Gysi-Inszenierung ist doch etwas ganz Anderes. Man bedenke: seit einigen Jahrzehnten gehört es in linken Kreisen gleichsam zum guten Ton, im Nahost-Konflikt Partei für die arabische Seite zu ergreifen. Dies betraf keineswegs nur die DDR; die Solidarität mit den Schwächeren, also den Palästinensern, zog und zieht sich durch die gesamte deutsche Linke. Was freilich nicht als Antisemitismus zu verstehen war (und ist), sondern als Antiimperialismus – oder eben als Antizionismus.
Heutzutage enden nicht mehr so viele Wörter mit „-ismus“, und sie beginnen nicht mehr mit „Anti-“. Die Ideologien sind überwunden; was bleibt, ist die Gerechtigkeit. Auch international. Frieden und Menschenrechte, womit wir die Stichworte gegen den „Aggressionsstaat Israel“ (Lafontaine) beisammen hätten.

Unter diesen Umständen ist es eben doch sehr bemerkenswert, dass ein „rot-rotes Signal“ ausgeht von Rudolf Dreßler und Gregor Gysi. Der eine hat als ehemaliger deutscher Botschafter in Israel seinen Standpunkt noch in diesem Jahr im Duisburger Rathaus vorgetragen; der andere hat mit einem Aufsehen erregenden Beitrag auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-(Partei-) Stiftung eine Umorientierung eingeleitet.

Insofern ist die Reise von Dreßler und Gysi vor allem ein Signal an die Linken selbst.

Werner Jurga, 03.09.2008

 

[Jurga] [Home] [März 2010] [Marxloh stellt sich quer] [Februar 2010] [Januar 2010] [2009] [2008] [60 Jahre Israel] [Dezember 2008] [November 2008] [Okt. 2008] [Sept. 2008] [August 2008] [Juli 2008] [Juni 2008] [Mai 2008] [April 2008] [März 2008] [Februar 2008] [Januar 2008] [2007] [Kontakt]