Madeleine Schickedanz

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Es ist schon Mittwoch. Inzwischen dürfte sich die Empörung ein wenig gelegt haben, dürften die Lacher sich ein wenig beruhigt haben. Inzwischen.
Zugegeben: das war auch ein echter Knaller! In der Bild am Sonntag präsentierte sich die Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz nachdenklich. Sie  macht sich Sorgen um die Zukunft, sie müsse von 600 Euro im Monat leben, usw. usf. Frau Schickedanz hatte die Bild-Leute bei sich daheim empfangen und Ihnen ein Interview gegeben. Prima Homestory!

Quelle-Erbin jammert ihren Milliarden nach

Hatten die dann als Dank getitelt und einen Tag später war es im gesamten deutschen Blätterwald. Die WAZ machte am Montag mit Frau Schickedanz auf, ähnlich wie hier. Im Wirtschaftsteil dann noch ein paar delikate Hintergründe, z.B. dass die arme Frau jetzt beim Discounter einkaufen muss. WAZ und DGB halten Schickedanz' öffentliches Jammern für eine "peinliche Stillosigkeit".
Das kann man so sehen. Und ich könnte jetzt hingehen und den ganzen Stuss, den die Dame von sich gibt, satzweise zitieren, um dazu meine liebevollen Kommentare abzugeben. Ich hatte mir auch schon eine Menge mehr oder weniger Lustiges dazu überlegt gehabt; nur: es ist schon Mittwoch – wie eingangs schon bemerkt. Und selbst wenn es noch Dienstag wäre: alles absolut obsolet.

Bereits am Montag Mittag standen mindestens zehn Glossen, Satiren oder so zum lächerlichen Auftritt von Frau Schickedanz im Netz. Und zwar nicht von privaten Bloggern, gescherzt wurde vielmehr ausgiebig auf den Online-Seiten der renommierten deutschen Presse. Das war aber auch ein verkorkster Auftritt!
Aber worüber könnte ich jetzt schreiben? Jetzt, wo es sich ausgescherzt haben sollte.

Warum macht sie das bloß?

Gewiss, dies wäre eigentlich eine Fragestellung, derer ich mich annehmen könnte. Nur: auch hier sieht es so aus, als stünde ich vor dem gleichen Problem. Auch diese Frage hat sich schon die gesamte relevante Journallie gestellt. Warum macht sich Madeleine Schickedanz zum Gespött der Zyniker, zum Hassobjekt der Neidhammel.
Jedoch hat niemand eine halbwegs plausible Antwort darauf, und ich – ehrlich gesagt – auch nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man die Frage so versteht, wie sie anscheinend alle meinen, sich stellen zu müssen. Die Leute fragen sich, welchen Zweck Frau Schickedanz mit ihrem Schwachsinnsauftritt wohl verfolgt haben mag, welche Absicht dahinter steckt.

Genau genommen hätte dann jedoch nicht nach dem Warum, sondern nach dem Wozu gefragt werden müssen. Mit Warum fragt man nämlich nicht nach dem Ziel (lat. finis), sondern nach dem Grund oder der Ursache (lat. causa). Merke: Wozu ist final, Warum ist kausal. Dies wäre an sich schon allein deswegen nicht weiter zu beanstanden, da es durchweg üblich ist, kausale Fragen mit Warum zu stellen. Hier also: Warum hast Du das getan? Nämlich im finalen Sinn: Was willst Du?
Dies wäre an sich auch nicht weiter schlimm, bestünde nicht die Gefahr, die Causa schließlich ganz aus dem Auge zu verlieren. Nehmen wir einfach einmal an, eine Erklärung für ihr befremdliches Verhalten läge darin, dass Frau Schickedanz - zumindest temporär vielleicht nicht so hundertprozentig - in gesellschaftlich üblicher Weise die Rezeption auf ihr individuelles Sagen und Tun zu antizipieren vermag. Sprich: nur mal angenommen, sie habe nicht alle auf dem Zaun, dann müssten wir uns doch fragen:

Woher hat sie das denn bloß?

Dann kämen wir nicht darum herum, einen Blick auch in ihre frühe Kindheit zu werfen. Selbstverständlich hat Madeleine Schickedanz noch alle Tassen im Schrank; aber wir können das ja trotzdem mal machen.
Ha! Und da haben wir auch schon etwas. Wie gut, dass es für uns Intellektuelle so was wie den Cicero gibt. Im Dezember-Heft 2005 sehen wir sie plötzlich ziemlich klar vor uns: die Weihnachtsfrau. Und was müssen wir da lesen?! Ja, da legst di nieder! Hobbypsychologen aufgepasst!
Am gesellschaftlichen Leben nimmt sie weder am Firmensitz in Fürth noch an ihrem Wohnort in Sankt Moritz teil. Einzige Ausnahme: In der fränkischen Heimat erscheint sie hin und wieder in einer Schule und erinnert auf Abschlussfeiern an das Vorbild ihrer Mutter, die ihr Leben lang hart arbeitete und dafür sogar auf ihren Wunsch verzichtete, viel Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.
Zum Leid der Tochter: Ihre Eltern Grete und Gustav Schickedanz dachten immer ans Geschäft. Als Mädchen hatte sie kaum Freunde, lebte im sprichwörtlichen „goldenen Käfig“. Und Mutter Grete würde man ob ihrer dominanten Art wohl als „Übermutter“ bezeichnen.

Ja, die Grete Schickedanz! Die Älteren werden sich noch erinnern. Die hatte den laden im Griff! Mit der wäre so was wie jetzt nie passiert. Die war auch nicht so faul wie ihre Tochter. Kann man auch gar nicht vergleichen. Andererseits, ich sage ja immer: so ein Kind kann da nicht für. Viel liegt auch an der Mutter. Weiter im Cicero:
Selbst am Geburtstag der Tochter stand die Mutter im Mittelpunkt, denn beide feiern am gleichen Tag: am 20.Oktober. Geboren wurde Madeleine 1943 in einem Luftschutzkeller.
Hammer! Was? Aber als Unternehmerin war sie klasse. Nein, nicht die Madeleine; die Grete natürlich. Passen Sie doch auf!
Ihrem Vater stand die Tochter näher, - kein Wunder!

Das hat die doch irgendwie von den Eltern

Der Vater! Das ist – das war der Gustav Schickedanz. Über den kann man auch etwas erfahren. Und zwar kurioserweise in einem Aufsatz mit dem Titel „Fräulein Gretel von der Quelle“.
Also diese Grete! So langsam werde ich sauer. Egal …
… noch kurioser ist, dass dieser Aufsatz in der Zeit erschienen ist – schon etwas her, aber so lange nun auch wieder nicht. Man sollte meinen: Die Zeit doch nicht!
Und los geht´s! Die Zeit über Gustav Schickedanz und wie er sich die Demokratisierung auf die Fahnen geschrieben hat:

Vernünftige Ware zum Schnäppchenpreis und per Postversand bis in die entlegensten Winkel des Reiches: Nicht weniger als die Demokratisierung des Konsums hat sich Schickedanz auf die Fahnen geschrieben.
1929, im Jahr der Weltwirtschaftskrise, trifft Schickedanz dann ein schwerer Schlag. Bei einem Autounfall sterben seine Frau Anna, sein kleiner Sohn Leo und der 72-jährige Vater des Unternehmers. Schickedanz verliert den Lebensmut. Seine Schwester Liesl übernimmt die Führung, bis der Chef aus seiner Depression herausfindet. Grete kümmert sich um das Schickedanz-Töchterchen Louise, das den Unfall überlebte. Unterdessen floriert das Geschäft. 1932 sind die „illustrierten Preislisten“, Vorläufer des Quelle-Katalogs, bereits ein Bestseller mit einer Auflage von 150000 Stück. 1935 legt Schickedanz mit dem Kauf der Vereinigten Papierwerke in Nürnberg und Heroldsberg den Grundstein zur Entwicklung eines Großunternehmens. 1936, knapp zehn Jahre nach Gründung seines Versandunternehmens, hat die Quelle schon 500 Mitarbeiter und mehr als eine Million Kunden. Grete Lachner begleitet den Chef oft auf Geschäftsreisen und ist eine Stütze der Firma geworden. Vor allem im Textileinkauf, der bis zu ihrem Tod ihre Domäne bleiben soll, beweist sie untrügliches Gespür. 1942 heiratet Gustav Schickedanz sein früheres Lehrmädchen.

Im Grunde hat sie es vom Vater

Und am 20. Oktober 1943 erblickte dann Madeleine das Licht der Welt. Aber das stand ja etwas weiter oben schon. Aufpassen, Herrgott noch mal! - Wir lesen jetzt weiter im Cicero:
Ihrem Vater stand die Tochter näher, - wussten Sie auch schon, klar, und warum? Hä? - am meisten vielleicht in der Zeit, als er nach dem Krieg, weil er für die NSDAP im Stadtrat saß, Berufsverbot hatte. Während die Mutter den Versandhandel zum zweiten Mal aufbaute, gingen Tochter und Vater gemeinsam spazieren.
Hui, das hatte uns die Zeit aber vorenthalten. In der Partei war er also, der alte Schickedanz. Wie gesagt: gut, dass wir den Cicero haben. Den richtigen Intellektuellen kann man es ja erzählen. Wer weiß, was diese Zeit-Leser mit solch einer Information anfangen würden!
Wie dem auch sei: da war der Mann also im Stadtrat, für die NSDAP – Entschuldigung: für wen denn auch sonst? Das war damals so! Und zack! Berufsverbot. Immerhin hatte dadurch die kleine Madeleine wenigstens mal kurz etwas von einem Elternteil! Gustav Schickedanz war sich nicht zu schade, mit dem Töchterchen spazieren zu gehen. Bedenken Sie einfach mal die Zeit damals.
Als dann endlich Schluss war mit diesem Berufsverbotsquatsch, war natürlich für Madeleine mit der Idylle Schluss. Der Patriarch musste wieder ran:
Später kam sie oft von der Schule in die Firma, um ihre Eltern beschäftigt zu finden.

Tja, das war´s. Mehr ist in der Zeit und im Cicero wirklich nicht zu erfahren! Traurige Geschichte um ein armes Mädchen, das sich jetzt – mit 65 Jahren – wieder sorgen muss … ist natürlich – wie gesagt – Quatsch. Aber immerhin wissen wir jetzt, dass Madeleine Schickedanz eine verdammt schwere Kindheit hatte. Und für den Fall, dass sie tatsächlich einen an der Mütze haben sollte, hätten wir einen brauchbaren psychoanalytischen Ansatz, der in ihrem Fall ganz gewiss so einiges erklären könnte. Könnte!

Letztlich hat sie es von den Juden

Nein, nein, Sie verstehen die Zwischenüberschrift falsch. Die Schickedanz sind natürlich keine jüdische Familie. Quatsch. Stellen Sie sich doch nur mal bitte vor, eine alte, aufgebrezelte Jüdin hätte in der BamS geflennt, dass ihr von den Milliarden nur noch ein paar Milliönchen geblieben seien, und dass sie sich deshalb Sorgen um ihr Alter mache, zumal sie nicht einmal Rentenansprüche erworben habe. Was meinen Sie wohl, was da los gewesen wäre!
Nein, nein, was Frau Schickedanz von den Juden hat, ist nicht ihre psychische Eigentümlichkeit, sondern einfach nur ihr Geld. Dass so etwas auch nicht in der Zeit steht. Nicht einmal im Cicero. Egal, es gibt ja Wikipedia:

Gustav Schickedanz war Mitglied der NSDAP und ab 1935 Ratsherr in Fürth/Bay. Er war bis 1948 inhaftiert, sein Vermögen war größtenteils beschlagnahmt und es war ihm verboten, sein Unternehmen zu leiten und zu betreten. Die treuhänderische Verwaltung lag u.a. in den Händen seiner Schwester Liesl Kießling.
Die Vereinigten Papierwerke, die Brauerei Geismann und weitere Firmen konnte Schickedanz wahrscheinlich aufgrund seiner Parteizugehörigkeit während des NS-Regimes weit unter dem tatsächlichen Wert von den ehemaligen jüdischen Besitzern im Zuge der Arisierung erwerben.
1949 wurde er freigesprochen. 1952 von der Stadt Fürth geehrt, wurde er 1959 Fürther Ehrenbürger. 1961 wurde er mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet.

Sie sind bei Wikipedia skeptisch? Das müssen sie in diesem Fall aber nicht. Das Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts e.V. wählte für sein Jahrbuch 2008 das Schwerpunktthema „Entrechtung und Enteignung“. Darin findet sich auch der Beitrag von Peter Zinke:

"Er drohte wieder mit der Gauleitung"
Gustav Schickedanz und die "Arisierungen"

Gustav Schickedanz und der Nationalsozialismus – die andere "Quelle-Story":
1927 gründete Gustav Schickedanz den Versandhandel "Quelle" in Fürth, der sich bald als Goldgrube herausstellte. Deshalb expandierte das Unternehmen in den Dreißiger Jahren kräftig auch in andere Geschäftsbereiche. Nach der Befreiung durch die Alliierten wurde der größte Teil des Besitzes von Gustav Schickedanz eingefroren, da er aus arisiertem jüdischen Besitz stammte.
Dieses Kapitel der Firmengeschichte wurde in den bisherigen Darstellungen geflissentlich ausgeblendet; umso rührseliger fallen die Schilderungen des kargen Neuanfangs nach dem Zweiten Weltkrieg im "Lädele" in Hersbruck aus.
Fazit: der Arisierungsgewinnler Schickedanz und Quelle haben ganz maßgeblich von der Arisierung jüdischen Besitzes und Vermögens durch die Nationalsozialisten profitiert. Schickedanz senior scheint sich noch in wesentlich größerem Maßstab an jüdischem Eigentum bereichert zu haben als Zumwinkel senior.

Dafür kann Madeleine Schickedanz nichts. Und sie war gewiss auch noch zu klein, als sie mit dem Papa diese Spaziergänge gemacht hat. Und es geht auch niemanden etwas an, ob sie ihn später einmal gefragt hat, warum der ganzen Familie ein Leben in Saus und Braus vergönnt war.
Aber was Madeleine wirklich einmal erklären könnte, ist die Frage, warum sie, obwohl sie sich sonst kaum, oder jedenfalls auch nach eigenen Angaben zu wenig um Quelle, um KarstadtQuelle und um Arcandor gekümmert hatte, stets größten Wert darauf gelegt hatte, dass die Anfänge der glorreichen Firmengeschichte nicht ans Tageslicht kamen.
Nein, sie kann es nicht, sie will es auch nicht, und so wie es aussieht, ist sie auch nur sehr begrenzt schuldfähig. Sehen wir uns einmal diesen kleinen Ausschnitt aus dem BamS-Interview an. Er wird nicht so häufig zitiert, vielleicht weil man ihn nicht so lustig findet.

BamS: Haben Sie in schwerer Zeit das Grab der Eltern häufiger besucht als sonst?
SCHICKEDANZ: Ich besuche das Grab regelmäßig.
BamS: Suchen Sie eine Art Zwiegespräch mit Ihren Eltern über die Krise?
SCHICKEDANZ: Meine Eltern versuchen mir in meinen Gedanken sehr oft zu helfen. Das klingt merkwürdig, aber ich bitte sie auch oft innerlich: Helft mir doch! Darin und in meinem Glauben finde ich Rückhalt.
Nun wissen wir nicht, was das für ein Glauben ist. Man soll die Eltern ehren, schon klar. Raubmörder hingegen werden von den meisten Religionen eher gering geschätzt. Aber waren die alten Schickedanzes wirklich Raubmörder? Bestimmt kann und darf man das so nicht sagen. Aber dass ihre Alten hundsgewöhnliche Nazischweine waren, das müsste doch eigentlich auch Madeleine wissen. Ob sie sich dafür schämt?

BamS: Sie leben sehr zurückgezogen, meiden die Öffentlichkeit . . .
SCHICKEDANZ: Ich traue mich nicht mehr unter Menschen. Ich habe den Eindruck, dass alle auf mich starren und hinter meinem Rücken tuscheln und sagen: „Guck mal, da ist die Schickedanz.“ Das kann ich nur schwer ertragen.
Dazu zwei Anmerkungen: erstens gibt es weder Kollektivschuld noch Sippenhaftung. Und zweitens habe ich das Zitat gekürzt. Okay. Gefälscht. Richtig ist es so:
„Guck mal, da ist die Schickedanz. Die hat alles verloren.“ Das kann ich nur schwer ertragen.

Ganz komisch: wir wissen, dass Madeleine Schickedanz ziemlich bestusst ist. Dass ihr alle moralischen Maßstäbe – nee: abhanden gekommen wäre Quatsch. Und doch meint man, sie an dieser Stelle ein wenig verstehen zu können. Komisch, komisch. Nicht dass dieser Kapitalismus es mit sich bringt, dass wir alle so ein bisschen einen an der Mütze haben!

Werner Jurga, 23.07.2009

 

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