SPD in Rente

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Noch sieben Wochen bis zur Kommunalwahl, noch elf Wochen bis zur Bundestagswahl; es ist also noch ein bisschen was hin. Und es ist, jedenfalls kalendarisch, Sommer. Das bedeutet Sommerferien, Sommerpause, Sommerloch. 

Sommerferien sind allerdings erst seit gut einer Woche, was die Frage aufwirft, ob denn in Sachen Superwahljahr mehr zu vernehmen wäre, wenn keine Ferien wären. Reine Spekulation, die, was die meisten nicht wissen, auch gestattet ist, weshalb ich einmal drauflos spekuliere: nein, da wäre kein Unterschied. Das Erscheinungsbild der deutschen Politik sähe keinen Tupfer anders aus.
Zumal das Sommerloch erst jetzt richtig startet. Frau Merkel war noch kurz auf dem Gipfel, und der Bundesrat verabschiedete am Freitag noch schnell einen Haufen Gesetze. Jetzt kann es losgehen mit dem Sommerloch.

Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist

lehrte uns Kurt Tucholsky alias Kaspar Hauser in seiner Überlegung zur soziologischen Psychologie der Löcher.
Bevor wir auf die SPD zu sprechen kommen, sei kurz darauf hingewiesen, dass Tucholsky hier ein Loch auch dadurch definiert, dass es einen Rand hat. Ich denke, das ist so ähnlich wie beim Begriff Pause: vorher ist was, und nachher ist was – sonst ist es keine Pause. So wie ein Nichts ohne Rand kein Loch ist. 

Nun also zur SPD. Sie erzielt gegenwärtig – je nach Institut – Umfragewerte zwischen 21 % und 25 %, im Schnitt also 23 %. Vorgestern erhielt ich ein Schreiben vom Spitzenkandidaten; das begann so:

Lieber Werner,
noch 80 Tage bis zur Bundestagswahl – und noch liegen wir zurück. Wie 2002 und 2005. Doch mit einem fulminanten Wahlkampf haben wir jedes Mal die Stimmung gedreht. Und ich bin fest überzeugt: Gemeinsam schaffen wir das zum dritten Mal in Folge.

Steinmeier hat Recht: auch 2002 und 2005 lag die SPD weit hinter der CDU, vielleicht ein Ideechen weniger als jetzt, aber nicht der Rede wert. Es waren auch so um die zehn Prozentpunkte, und am Wahlabend 2005 war es nur noch einer. 2002 war erst am Montag Morgen klar, wie die Wahl ausgegangen ist.
Insofern könnte aus Steinmeiers fester Überzeugung – aller guten Dinge sind drei – Wirklichkeit werden. Es muss halt nur noch mit dem fulminanten Wahlkampf gestartet werden.

Das Spektakel, das Hannelore Kraft letzte Woche geboten hatte, war möglicherweise fulminant, möglicherweise auch Wahlkampf, doch bestimmt nicht für die SPD. Sie versuchte, Ruhrbaron David Schraven einzuschüchtern und bekam dafür zweifelhafte Unterstützung aus der Parteizentrale.
Ich weiß nicht, ob diese Aufführung jetzt beendet ist. (P.S. – echtes Post-Scriptum: sie ist es nicht. Aktuell wird gemeldet, dass Kraft eskaliert.) Unabhängig davon war und bin ich in Sorge, dass diese Geschichte das Potenzial haben könnte, die Ausgangsbasis für den SPD-Wahlkampf weiter runter zu drücken.
Aber in der mir eigenen Naivität bin ich zumindest davon ausgegangen, gar nicht mal so bewusst, einfach mal davon ausgegangen, dass es dies dann auch war an Friendly Fire. Jedenfalls bis zur Bundestagswahl. Es kursierte das Gerücht, demzufolge im Falle eines schwarz-gelben Wahlsieges Kraft als NRW-Spitzenkandidatin von Steinbrück abgelöst werden solle.
Dieses Gerücht hatte ich nie für plausibel gehalten. Ich konnte (und kann) mir einfach nicht vorstellen, dass Steinbrück nach einer Niederlage in Berlin große Lust verspüren könnte, ein halbes Jahr später gleich noch eine in Düsseldorf einzustecken. Heute weiß ich, dass dieser Einwand gar keiner gegen dieses Gerücht ist.

Kraft Steinbrück

Inzwischen denke ich, dass sowohl das Gerücht als auch mein vermeintlicher Einwand nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Ob damit erklärt werden kann, dass Steinbrück am Freitag in den SPD-Wahlkampf hineingepoltert ist wie ein Elefant in den Porzellanladen? Am Freitag, knapp vier Wochen, nachdem es vom Bundestag beschlossen wurde, hat das Gesetz gegen nominale Rentenkürzungen den Bundesrat passiert.

Ein Gesetz, von dem die hiesige SPD-Bundestagskandidatin Bas bereits am 29. April Wind bekommen hatte, und das die SPD der Union abgerungen hat. Durchgedrückt hat es Bundessozialminister Scholz. Selbstverständlich lassen sich auch aus sozialdemokratischer Sicht gute Gründe gegen das Rentensicherungsgesetz vortragen. In Deutschland ist es ja sogar möglich, Steinbrücks Finanzpolitik als sozialdemokratisch zu verkaufen. Und es stimmt auch, dass Genosse Steinbrück von vornherein seine Bedenken gegen das Rentengesetz geäußert hat.
Richtig ist allerdings auch, dass es keinen Politiker gibt, der öffentlich häufiger von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Steinbrück gefällt sich dann mit dem Hinweis, dass, wenn er jetzt eine Antwort gäbe, morgen in den Schlagzeilen …, er wisse doch, wie der Hase läuft. Und genau deshalb ist es so schwer verständlich, warum er ausgerechnet jetzt, als das Gesetz den Bundesrat passiert hat, also nicht mehr zu ändern ist, mit viel Tamtam (FR und ARD) seine Dissidenz zur Parteilinie publik macht.

Gestern kommentierte Stefan Schulte in der WAZ: Steinbrück ist lange genug im Geschäft. Deshalb muss ihm bewusst sein, dass er damit seiner am Boden liegenden Partei mit Anlauf und in hohem Bogen ins Kreuz gesprungen ist.
Das ist wohl wahr. Der Kommentar hat die Überschrift der Besserwisser. Gemeint ist natürlich Steinbrück. In der Tat: er wird besser wissen als ich, was das soll. Ich grüble und grüble, aber ich komme nicht dahinter. Keine Ahnung, wie der Hase läuft. Warum macht der so etwas? Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Ich weiß nicht einmal, wie lange (die Antwort auf) die Frage noch irgendjemanden interessieren wird.

Werner Jurga, 12.07.2009

 

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