Statussymbole differenzieren das Bild

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Willkommen zum dritten und letzten Teil der Einführung in die Zeitsoziologie nach Nadine Schöneck. Heute geht es um Statussymbole. Was die mit Zeit zu tun haben sollen? Gegenfrage: haben Sie den WAZ-Artikel über das „Zeitempfinden der Deutschen“ immer noch nicht gelesen? Da erklärt Frau Schöneck doch so schön. Und so einfach. Einfach schön und schön einfach:
„Zeitknappheit ist ein Statussymbolâ€, sagt die Soziologin. Ich bin wichtig, ich bin gefragt, ich bin nicht verfügbar – das soll etwas aussagen über die soziale und berufliche Position. „Wer dagegen Zeit hat, macht sich verdächtig.“
Soziologisch formuliert: schuld ist die Gesellschaft. Die macht nämlich die Zeit knapp, oder zumindest macht sie es, dass die Zeit knapp sein soll. Böse Gesellschaft.
Zeitknappheit ist somit auch ein Anspruch, den die Gesellschaft an den Einzelnen heranträgt. Wer stets unterwegs ist, Termin an Termin reiht, kaum erreichbar ist, hat Erfolg, wird bewundert, erntet Achtung. Wer aber Zeit hat, …
Ach ja, das wissen Sie ja schon:
… ist entweder Rentner, Millionär – oder ein Versager.

Okay, wem´ s gefällt. Rentner, Millionär und/oder Versager, kann man machen. Ist aber nicht jedermanns Sache. Besser ist, man erntet Achtung und wird bewundert.
Auch Nadine Schöneck hat es meistens eilig. Die 34-Jährige ist Soziologin und Zeitforscherin.
Doppelbelastung! Aber es ist ja nicht nur das. So etwas steckt in einem – oder wie in diesem Fall: in einer – drin oder eben nicht. Und sie ist halt so, wie sie ist: Nadine rennt (so der Name des hübschen Fotos). Und so ist das heute – nach der Doktorarbeit. Und so war das auch schon vor sieben Jahren – nach der Diplomarbeit. So ist sie, und so war sie.
Damals gab es dafür den „Deutschen Studienpreis 2002“. „Preisträgerin der RUB“, konnte die Uni Bochum stolz verkünden, und: Prämierte Forschung zu «Tempo! - Die beschleunigte Welt». O-Ton 2003:

Schöneck klein

Nadine Schöneck (27) hat es meistens eilig und fühlt sich stets ein bisschen getrieben, wie sie sagt. Das nahm die Studentin der Ruhr-Universität Bochum zum Anlass, das Zeitgefühl und -empfinden der Deutschen zu untersuchen. Mein Leben hat sich in den letzten Jahren wesentlich beschleunigt. Dem stimmten 80 Prozent der Befragten zu, unabhängig von Bildung und Einkommen.
Na klar, das hätte sie sich auch gleich denken können. Hat sie aber nicht:
Schönecks Annahme, die soziale Schichtzugehörigkeit präge das subjektive Zeitgefühl, bestätigte sich nicht: Der Beamte fühlt sich genauso beschleunigt wie der Arbeiter, die Rechtsanwältin ebenso wie die Kassiererin.
Gut, dass Nadine Schöneck noch dahinter gekommen ist. Vielleicht hat ja auch Prof. Dr. Werner Voß, der „ihren Wettbewerbsbeitrag betreut“ hat, ihr da ein klein wenig auf die Sprünge geholfen.
Ob es sonst das Diplom gegeben hätte. Schwer zu sagen. So aber: ein neues Forschungsergebnis, obwohl es „nur“ eine Diplomarbeit war. Das musste einfach eine Auszeichnung geben.
Für ihre Arbeit “Der getriebene Mensch ... und bin ich normal?“ erhält sie heute in Berlin einen der ersten Preise des Deutschen Studienpreises der Körber-Stiftung.

Dafür gab es 5000 Euro. Damit kommt man auch nicht sehr weit; aber für eine arme Studentin ist das mehr als nichts. Ach, was rede ich?! Studentin war sie da ja gar nicht mehr. Diplom in der Tasche, also Doktorandin, sprich: Nachwuchs-wissenschaftlerin. Aber da – Sie können sich das ja gar nicht vorstellen! – fing der ganze Stress erst einmal so richtig an.
Sie klagen ständig über Ihren „Stress, Stress, Stress“ und unterstellen dabei einfach mal so, dass das Leben unserer Nachwuchsakademiker das reinste Zuckerschlecken sei. Ein Jahr später, am 07.07.2004, lesen wir im „Unispiegel“ über den „Traumberuf Wissenschaft“ – ironisch gemeint, verstehen Sie?! – den Beitrag „Russisch Roulette im Hörsaal“. Jetzt gucken Sie Mal!
Der akademische Hindernislauf beginnt oft schon mit der Dissertation. Vier bis fünf Jahre tüfteln die meisten Doktoranden daran und setzen sich den Doktorhut im Schnitt erst mit 33 Jahren auf. So könnte es auch Nadine Schöneck ergehen: Die 28-jährige Diplom-Sozialwissenschaftlerin, die mit ihrer Arbeit zum Thema "Tempo" beim Studienpreis der Körber-Stiftung gewann, promoviert gerade in Soziologie und hofft auf eine Karriere als Wissenschaftlerin.
Sie merken schon: Gefahr in Anmarsch. Dramaturgische Pause – keine echte Pause, nur kurz für die Spannung: eine Zwischenüberschrift: Wollte mehr Tempo machen: Nadine Schöneck.
Und jetzt kommt es knüppeldicke:
Für ihre Doktorarbeit über "Inklusionsprofile und subjektive Zeitwahrnehmung" plante sie zunächst zwei, höchstens zweieinhalb Jahre ein. Inzwischen rechnet sie mit mindestens einem Jahr mehr - und wäre damit immer noch recht schnell. Neben ihrer Dissertation arbeitet Nadine Schöneck an einem Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Das bringt ihr eine halbe BAT-Stelle, 77 Stunden im Monat für rund 1600 Euro brutto. Für die Promotion bleiben ihr noch 15 bis 18 Stunden pro Woche.

Was hätte da nicht alles schief gehen können? Oder: wie viele hätten den ganzen Stress einfach nicht durchgehalten? Aber, keine Panik: die Geschichte endet mit einem Happy End. Nadine rennt zwar immer noch, sogar Marathon. Wie ich schon sagte: sie ist, wie sie ist. Auf ihrer Internet-Seite schreibt sie: „Ich bin ein absoluter Morgentyp; am liebsten schlafe ich wenig.“
Für Sie mag das der Horror sein; Dr. Nadine Schöneck hat jedenfalls ihr Glück gefunden. Für sie ist Zeitknappheit eben kein Statussymbol, sie ist einfach so. Sie rennt. Überhaupt: Statussymbole – hat Nadine gar nicht nötig. Sie genießt ihr Glück in Bochum-Stiepel, mit Aussicht auf die Ruhr-Universität Bochum und in unmittelbarer Nähe des Kemnader Sees, der Bochum von Witten trennt. Natürlich nicht allein, sondern zusammen mit meinem Ehemann Werner Voß und unserer Bearded-Collie-Hündin.

Echt, so ein Haus direkt am See finde ich super. Und natürlich mit Hund. Dazu noch ein Sozialwissenschaftler mit dem schönen Namen Werner. Was will man eigentlich mehr. Sicher, der Kapitalismus, das Scheiß Wetter und ständig diese frühe Aufsteherei. Aber sonst: es läuft doch! Good running.

Werner Jurga, 06.01.2010

 

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